Experten befürchten, dass es durch Location-based Games zu einer Zunahme von Verkehrsunfällen kommt. Was raten Sie Verkehrsteilnehmern?
Pokémon Go - und ich befürchte, das ist erst der Anfang bei den sogenannten Location-Based Games - ist kein Spiel für den Straßenverkehr. Der DVR warnt vor der Gefahr durch Ablenkung bei diesem neuen Handyspiel. Das Ablenkungspotenzial durch die massenhafte Verbreitung von Smartphones ist ohnehin schon groß genug und scheint spürbar zugenommen zu haben, auch wenn es keine validen Unfallzahlen gibt, da Ablenkung als eigene Unfallkategorie in Deutschland nicht erfasst wird. Wir brauchen mehr Daten, auch mit Blick auf die intensivere Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Fahrzeug- und Verkehrstechnik, Ablenkung und Überforderung.
Bei Location-based Games werden die Spieler an für sie unbekannte Örtlichkeiten geführt. Wie lässt sich sicherstellen, dass (insbesondere junge Nutzer) nicht in Gefahr geraten?
Neue Handyspiele wie Pokémon Go werden die Gefahren durch Ablenkung für Autofahrer und Fußgänger zusätzlich verschärfen. Wer ein Pokémon erwischen will, muss dauerhaft auf sein Handy blicken – und verliert dabei nur allzu leicht den Blick für seine Umgebung. Wenn ich als Autofahrer bei Tempo 50 nur eine Sekunde auf das Smartphone schaue, lege ich 14 Meter im Blindflug zurück.
Die Hype-App Pokemon Go hat eine USK-Empfehlung ab 6 Jahre. Wie sollten die jungen Nutzer auf das Spiel und etwaige Gefahren vorbereitet werden?
Durch Pokémon Go können gefährliche Situationen im Straßenverkehr entstehen. Beispielsweise könnten sich Spieler durch plötzlich auf der anderen Straßenseite auftauchende Monster dazu animiert fühlen, über die Straße zu laufen, ohne auf den Verkehr zu achten. Dies gilt für die jüngere „Generation Kopf unten“ und besonders für Kinder. Sie sind oft noch nicht in der Lage, gefährliche Situationen zu erkennen und einzuordnen. Deshalb ist zu empfehlen, das Spiel mit den Kindern gemeinsam auszuprobieren und auf Gefahren hinzuweisen. Darüber hinaus stellt sich natürlich die grundlegende Frage, ob bereits sechsjährige Kinder mit einem Smartphone ausgerüstet sein müssen.
Experten gehen davon aus, dass in Deutschland mindestens jeder zehnte Unfall durch Ablenkung verursacht wird. Aber wie kann Ablenkung als Unfallursache wirksam bekämpft werden? Im Sinne der Prävention sind öffentlichkeitswirksame Kampagnen und Aktionen probate Instrumente, die Köpfe der Verkehrsteilnehmer zu erreichen. Die bundesweit sehr erfolgreiche Kampagne „Runter vom Gas“ des Bundesverkehrsministeriums und des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) sowie der Unfallkassen und Berufsgenossenschaften widmet sich auch dem Thema Ablenkung durch Smartphones und unterstützt derzeit die Roadshow des Auto- und Reiseclubs Deutschland (ARCD) „Lass dich nicht APPlenken!“, um das Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer für die Gefahren und Folgen durch Ablenkung zu schärfen. Unter Einsatz des ARCD-Fahrsimulators wird gezeigt, wie Ablenkung entsteht und wo sich im Alltag die „Ablenkungsfallen“ verstecken. Beim Telefonieren während der Fahrt ist die Auswirkung der Ablenkung mit einer Alkoholisierung von 0,8 Promille vergleichbar, beim Schreiben von SMS mit den Auswirkungen von 1,1 Promille.
Angesichts der Gefahren rund um den aktuellen Trend – braucht es neue gesetzliche Regulierungen?
Wir benötigen dringend die standardisierte Erfassung der Unfallursache Ablenkung in der EU, die Aufnahme einer standardisierten Ablenkungsaufgabe in Fahrprüfung und Fahrausbildung sowie die Berücksichtigung des Themas in der Berufsfahrerweiterbildung. Außerdem müssen die gesetzlichen Vorschriften für die Nutzung von Mobiltelefonen bei der Verkehrsteilnahme dringend aktualisiert werden, denn sie stammen aus vorsintflutlichen verkehrsrechtlichen Zeiten. Neue gesetzliche Regelungen oder Verbote für Fußgänger sind hingegen nur schwer vorstellbar. Solche Regelungen oder Sanktionsmöglichkeiten machen nur dann Sinn, wenn auch entsprechend kontrolliert und überwacht wird. Aufgrund der Vielfalt der Aufgaben und der Personalknappheit bei den Polizeikräften der Länder ist eine gezielte Kontrolle der Smartphone-Nutzung kaum durchführbar. Hinzu kommt: Verstärkte Kontrollen wären zwar ein wirksames Instrument, aber kein Allheilmittel für das Problem der Ablenkung. Denn nach wie vor wird das Risiko durch Ablenkung dramatisch unterschätzt.