Wenn Unaufmerksamkeit zum Risiko wird
Selten wurde einem Spiel so viel mediale Aufmerksamkeit zuteil wie derzeit Pokemon Go, Nintendos Such-und-Sammel-Spiel rund um die virtuelle Monsterjagd. Und während Gamer und Smartphone-Aficionados gar nicht genug bekommen von der digitalen Hatz, mehren sich seit Wochen Berichte über Beinahe-Unfälle und Zusammenstöße aus der realen Welt - und über den Datenhunger von Publisher Niantic. Denn Gefahr droht nicht so sehr von Laternenmasten, Fahrradfahrern oder offenen Gullydeckeln. Viel fragwürdiger als die Risiken im Straßenverkehr ist der Datenhunger der Gaming-App. Denn was die physischen Gefahren betrifft, dürfte die Diskussion den üblichen Weg beschreiten: Ebbt der Hype erst ab, kommt auch die Debatte wieder zum Erliegen. So wie in früherer Zeit bei iPhone und Handy; so wie bei Gameboy und Walkman.
Heikel ist vor allem der Datenverkehr
Weit mehr Aufmerksamkeit verdient das Thema Datenschutz. Während es bei aktuellen Betriebssystemen eine immer wichtigere Rolle spielt, tendieren die meisten von uns bei vermeintlich harmlosen Apps dazu wegzuschauen. Zu Unrecht allerdings – denn der Datenhunger von Pokemon-Publisher Niantic beweist, dass es lohnt, genauer hinzuschauen. Die Liste der geforderten Zugriffsberechtigungen ist lang. Auch wenn das Unternehmen in den vergangenen Wochen in Einzelbereichen zurückgerudert ist, dürften sich die wenigsten Nutzer bislang überhaupt mit der Frage auseinandergesetzt haben, welche Folgen der dreiste Datenhunger für ihre Privatsphäre hat. Auch wenn nicht damit zu rechnen ist, dass sich Nintendo & Co. auf verbrecherische Weise bereichern, ist ein mulmiges Gefühl bei dem Gedanken an permanente Überwachung durchaus angebracht. Man darf sich in der Tat fragen, ob es sinnvoll ist, einem Unternehmen Tür und Tor zur eigenen Privatsphäre mitsamt Bewegungsprofil zu öffnen.
Das Problem besteht dabei nicht nur in der Erhebung einzelner Datensätze, sondern in ihrer Anreicherung durch Verknüpfung. Wer viel und regelmäßig Pokemon Go spielt, erstellt nicht nur selbst bereitwillig eine Karte seiner typischen Umgebungswege, sondern lässt anhand parallel erhobener Daten auch Rückschlüsse über seine Alltagsgewohnheiten, oder seinen Arbeitgeber und seinen Wohnort zu. Welches Smartphone kann sich ein Spieler leisten? Wie alt ist er oder sie? Zu welchen Zeiten hält er sich wo auf? Die sich daraus ergebenden Korrelationen erlauben heutzutage unschwer Rückschlüsse über Einkommensverhältnisse, sozialen Status oder Einkaufsgewohnheiten.
Was passiert mit Nutzerdaten?
Mindestens genauso kritisch ist dabei, was mit einmal gesammelten Daten geschieht – das ist ebenso unklar, wie die Frage, wo die Daten tatsächlich gespeichert werden. Klar hingegen ist, dass Niantic einmal gesammelte Daten keineswegs exklusiv verwendet. So heißt es z. B. in der Datenschutzerklärung:
"Wir können gesammelte Informationen und nicht-identifizierende Informationen Drittanbietern zu Forschungs- und Analysezwecken, demografischen Erhebungen und ähnlichen, anderen Zwecken offenlegen."
Ein in der Tat kritischer Punkt – selbst wenn es sich dabei angeblich nicht um direkt personenbezogenen Daten handelt. Wer darüber hinaus seine ganz eigene Meinung zum Thema Geheimdienste hat, dürfte sich auch über einen weiteren Passus sehr wundern. Schließlich legt Niantic in seinen Datenschutzbestimmungen außerdem fest:
Wir arbeiten mit der Regierung, mit Strafverfolgungsbehörden oder privaten Beteiligten zusammen, um das Gesetz durchzusetzen und einzuhalten. Wir könnten jegliche Informationen über Sie, die sich in unserem Besitz befinden [...] offenlegen, wenn wir es nach unserem eigenen Ermessen für notwendig und angemessen erachten."
Irritation ist angebracht, denn die Weitergabe dieser Informationen „nach unserem eigenen Ermessen“ bedeutet im Ernstfall einen erheblichen Eingriff in die eigene Datenhoheit. Dieses Vorgehen setzt außerdem voraus, das Niantic personenbezogene Daten in die USA überträgt, wo Datenschutz generell lockerer gehandhabt wird als hierzulande – und Unternehmen zur Herausgabe von Daten an staatliche Dienste qua Gesetz gezwungen werden können.
Feinste Qualitätsdaten - selbst bei geringer Quantität
Eher entspannt dürften die meisten Nutzer auf die die Nachricht reagieren, dass der eigentliche Datenverbrauch von Pokemon Go nicht so dramatisch ausfällt wie befürchtet. Unterschiedliche Tech-Portale haben sich bereits die Mühe gemacht, den Durchschnittsverbrauch zu ermitteln. Der Messwert hat sich übereinstimmend bei rund 10 MB pro Stunde eingependelt. Wer trotzdem das Gefühl hat, die Jagd auf den letzten Pokemon hätte deutlich stärker am Volumen genagt, der sollte vor allem auf die parallele Nutzung im Auge behalten. Heißt: Aufpassen sollten alle, die bei der Pokemon-Jagd am liebsten Musik per Streamingdienst hören.
Unser Tipp: Augen auf!
Was den Datenschutz betrifft, lohnt es in jedem Fall wachsam zu bleiben - und das nicht nur im Straßenverkehr. Pokestops und Arenen sind nicht allein zufällig platziert – in anderen Ländern kooperiert Niantic bereits mit Restaurantketten, um Nutzer zu entsprechenden Pokestops vor deren Filialen zu dirigieren. Und wer seinen Kindern nicht das Vergnügen rauben will, der sollte wenigstens darauf achten, dass die Jagd nach Fantasy-Monstern nicht Überhand nimmt – so wie bei jedem Spiel auf dem Handy.
Und beim Datenverbrauch? Hier lässt sich feststellen: Wer bisher keine Bekanntschaft mit automatischen Volumenupgrades á la Datenautomatik gemacht hat, dürfte auch in Zukunft von den „Segnungen“ der Providerbranche verschont bleiben. Dennoch, der durchschnittliche Pro-Kopf-Datenverbrauch steigt seit Jahren kontinuierlich – auch ohne Pokemon Go. Wer ganz auf Nummer sicher gehen will, der kann in aller Regel das Datenvolumen seines Laufzeitvertrags temporär aufstocken. Auf lange Sicht dürfte aber auch Pokemon Go das Tarifvolumen positiv beeinflussen – schließlich verlangen die meisten Nutzer nach echten Rundum-Sorglos-Paketen.