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Chatbots im Wahlkampf können den Bürger frustrieren

Warum die Politik selbst mit den Wählern reden sollte

Ralf-Uwe Beck, Vorstandssprecher Mehr Demokratie e.V. Quelle: Mehr Demokratie e.V. Ralf-Uwe Beck Vorstandssprecher Mehr Demokratie e.V. 15.05.2017
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Wenn eine Maschine mir antwortet, ist das ungefähr so wertschätzend wie die Glückwunschmail eines Internetshops zum Geburtstag", sagt Ralf-Uwe Beck, Vorstandssprecher des Mehr Demokratie e.V.. Er ist für eine klare Kennzeichnungspflicht für Bots im Wahlkampf.







Nach Presseberichten gibt es Erwägungen, im Bundestagswahlkampf Bots einzusetzen. Wie bewerten Sie das?
Ich kann verstehen, dass Parteien möglichst effizient mit Anfragen umgehen wollen und dafür Textbausteine anlegen. Wer schon einmal mehrere Kandidaten einer Partei angeschrieben hat, kennt Antworten, die sich gleichen wie ein Ei dem anderen. Interessant wird es, wenn ein Kandidat kreativ mit den Textbausteinen umgeht, sie modifiziert, individuell antwortet. Dann lässt sich herauslesen, wie der Kandidat „tickt“, ob er auch bereit ist, seinem Gewissen zu folgen und von der Parteilinie abzuweichen oder ob er nur wiederkäut, was die Partei ihm vorsetzt. Und da sind wir schon mitten im Problem der Chatbots. Mit Chatbots im Wahlkampf wird der potentielle Wähler degradiert zum alleinigen Adressaten für das Parteiprogramm. Als Impulsgeber, als Mensch, dem etwas auf den Nägeln brennt, der seine Erfahrungen mit politischen Entscheidungen macht, Anregungen gibt, Kritik übt, rückt er weiter in den Hintergrund. CDU-Generalsekretär Tauber hat selbst TTIP als Beispiel dafür genannt, an welcher Stelle Chatbots ihm die Arbeit abnehmen könnten. Die CDU hat also zu TTIP eine klare Position. Was aber ist, wenn jemand von TTIP aus das Thema des freien Handels entfaltet sehen will – beispielsweise in Richtung einer fairen und demokratischen Handelspolitik? Eine inhaltliche Auseinandersetzung wird so nicht zustande kommen. Von Seiten der Partei ist das arrogant, sie signalisiert nämlich, nichts mehr lernen zu müssen. Für den Bürger kann das sehr frustrierend sein.

Einzelne Experten fordern gesetzliche Regeln für Bots – etwa eine Kennzeichnungspflicht. Wie stehen Sie dazu?
Ich möchte wissen, wer herstellt, was ich einkaufe und wer es mir liefert. Das gilt für meine Hemden, meine Brötchen und auch für die Antworten, die mir auf meine Fragen gegeben werden. Kommunikation wird bestimmt von einem Gegenüber. Erst wenn ich weiß, mit wem oder womit ich es zu tun habe, kann ich entscheiden, ob ich zu einer solchen Kommunikation, falls diese dann noch so genannt werden kann, bereit bin. Deshalb ist eine Kennzeichnung, ob mir eine Maschine oder ein Mensch antwortet, hier unerlässlich. Alles andere würde an meinem Selbstbestimmungsrecht kratzen.

Experten streiten darüber, wie groß der Einfluss von Bots etwa auf den vergangenen amerikanischen Präsidentschafts-Wahlkampf waren. Wie schätzen Sie das ein?
Das kann ich nicht schlüssig beurteilen. Klar scheint nur, dass wenn es um Fragen der Macht geht, auch alles das, was verfügbar (und erlaubt) ist, genutzt wird, um diese zu erreichen oder zu sichern. Die Digitalisierung wird in Wahlkämpfen eine zunehmende Rolle spielen. Grenzwertig wird es, wenn wir nicht mehr durchschauen, dass und wie wir manipuliert werden. Seit 2008 wird in US-Wahlkämpfen auf Microtargeting gesetzt und die verschiedenen Zielgruppen unter der Wählerschaft mit passgenauen Botschaften beworben. Dabei kann beispielsweise subtil mit den Ängsten der Wähler gespielt werden, um sie in eine Richtung zu lenken. Das hat nichts mehr mit einer programmatischen Angebotspalette zu tun, die zur Wahl vor mir ausgebreitet wird. Es wird darum gehen müssen, dies zu durchschauen und zu veröffentlichen. Mindestens müssen wir wissen, wo die Gefahr lauert, manipuliert zu werden.

Wie lässt sich verhindern, dass digitale Wahlkampfhelfer die Demokratie bedrohen?
Indem sie nur dort eingesetzt werden, wo maschinell erstellte Antworten nicht auf Kosten des Gesprächs zwischen Wählern und Kandidierenden gehen. Die Bitte um Autogrammkarten, wie in Obamas Wahlkampf, über Bots beantworten zu lassen, sehe ich kaum problematisch. Hier ist die Erwartungshaltung klar: Jemand möchte ein Autogramm, kein Gespräch. Bestellt, geliefert, fertig. Aber stellt jemand Fragen, macht er sich vom Sofa auf und interessiert sich für die Kandidierenden und ihre Positionen, dann muss das gewürdigt werden. Wenn eine Maschine mir antwortet, ist das ungefähr so wertschätzend wie die Glückwunschmail eines Internetshops zum Geburtstag. Das ist vor dem Hintergrund des beklagenswerten Vertrauensverlustes in demokratische Institutionen vom Teufel. Die Kluft zwischen Wählern und Gewählten lässt sich nur überbrücken, wenn sich beide Seiten ernst nehmen. Ich kann eine Maschine nicht ernst nehmen und die mich nicht. Die Bedrohung der Demokratie lässt sich abwenden, wenn die Menschen nicht als lästig angesehen werden, sondern als grundsätzlich fähig, das Gemeinwesen zu bereichern – mit ihrer Kritik und ihren Ideen.

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