Wie ist der aktuelle Stand beim Quantencomputing als Technologie, was kann sie potenziell leisten, was kann sie besser als herkömmliche Rechner?
Das Quantencomputing steckt noch immer tief in den Kinderschuhen, der Hype ist deutlich größer als der aktuelle Nutzen. Dieser lässt sich gegenüber herkömmlichen Simulationsansätzen und Computern hingegen einfach quantifizieren: Er ist gleich 0. Das heißt, es gibt gegenwärtig nichts, was Quantencomputing in der Chemischen Forschung und Entwicklung besser und effizienter und preisgünstiger leisten kann als der aktuelle Ansatz.
Das, was Fachleute jenseits von Presse und Marketing auf diesem Gebiet berichten, erweckt bei mir den Eindruck, dass man derzeit im Bereich des Quantencomputing auf dem Entwicklungsstand des Jahres 1965 bei der Transistoren-Technologie ist. Und da das Marketing heutzutage deutlich besser und schneller als damals ist, eilen die Meldungen über das Potential und die Nützlichkeit von Quantencomputing im Chemie- und Materialbereich dem Entwicklungsstand sehr viel schneller voraus. Es ist nicht auszuschließen, dass sich das Quantencomputing ähnlich entwickeln kann wie die Transistor-Technologie, aber das wird insbesondere für die Anwendung in der Chemie wahrscheinlich nicht in den nächsten zehn Jahren passieren und es wird nicht die gleiche Gesellschaftliche Bedeutung erreichen können.
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Welche Vorteile bietet die Suche nach neuen Werkstoffen mithilfe des Quanten-Computing?
Aktuell keine, aber auch in der Zukunft sehe ich nur sehr wenige Bereiche, für die ein Quanten-Computer einen Mehrwert bieten kann. 15 Jahre intensive F&E-Aktivität in der Chemischen Industrie zeigen mir, dass bei KEINEM F&E-Projekt Quantencomputer einen entscheidenden Unterschied hätten machen können. Das heißt aber nicht, dass es diesen Vorteil nicht doch für einzelne Fragestellungen geben könnte.
Der Wesentliche Faktor in der Forschung und Entwicklung ist der Mensch, denn der Parameterraum in der molekularen Welt ist so gigantisch, dass man selbst mit Quantencomputern, ohne es zu wissen oder zu verstehen, an der vollkommenen falschen Stelle suchen kann und dann nur wesentlich schneller wesentlich mehr sinnlose Daten erzeugt.
Wenn man das irgendwie quantifizieren will, dann denke ich, dass auf Basis der Fragestellungen und Aufgaben (Komplexität der Systeme und Größe der Berechnungen) weniger als fünf Prozent aller Fragestellungen überhaupt sinnvoll von zukünftigen Quantencomputern adressiert werden können. Und diese müssten bis dahin deutlich weniger fehleranfällig werden.
Wie lassen sich umweltbeeinträchtigende Produkte bzw. Verfahren oder auch Ressourcenverschwendung von Vornherein ausschließen?
Jegliche wirtschaftliche Aktivität hat einen Umwelteinfluss. Für jedes neue Produkt braucht man Energie. Selbst wenn man diese Produkte nur auf Basis von CO2, N2 und H2O magisch erzeugen würde, dann bräuchte man immer noch Energie. Selbst Solarmodule und Windkrafträder haben einen Einfluss auf die Umwelt, der ist jedoch massiv geringer als der eines Kohle- oder Gaskraftwerks, und hat nicht die Sicherheits- und Entsorgungsproblematiken von Atomkraftwerken.
Das Einzige, was effektiv Ressourcenverschwendung entgegenwirkt, ist Verzicht, Reduktion oder Veränderung von Konsum. Das fängt etwa beim Fleischkonsum oder dem Import von Äpfeln aus Übersee an und geht bis hin zu Kreuzfahrten oder Inlandsflügen. Im Kapitalismus wird nur das langfristig produziert bzw. an Ressourcen eingesetzt, was gekauft wird. Der Käufer/Konsument ist mit Abstand der mächtigste Akteur in der Ressourcenverschwendungsdebatte. Eine höhere Energie- oder Rohstoffeffizienz hilft in erster Linie nur den produzierenden Unternehmen, eine höhere Marge zu erreichen oder überhaupt wettbewerbsfähig zu werden (bleiben) oder bestehende Regularien einzuhalten.
Welche Art der Förderung bzw. regulatorische Unterstützung benötigt das Quantencomputing noch?
Keine wesentlich größere, als die für aktuelle Transistoren-Technologien, denn der Großteil an typischen Fragestellungen kann kosteneffizient bereits mit normalen Computern und Algorithmen erledigt werden. Nur für die wenigen speziellen Anwendungsfälle braucht man Quantencomputer, und innerhalb der chemischen Forschung und Entwicklung gibt es auch nur wenige Spezialfälle, in denen Quantencomputer einen Unterschied machen könnten.
Die Förderung der klassischen Computertechnologie kommt immer der Masse der Menschen und der Masse der einfachen Aufgaben und Fragestellungen zugute. Von der Förderung spezieller Anwendungsfälle von Quantencomputern profitieren allein große Unternehmen und Regierungen mit ihren jeweils unterschiedlichen Motiven, sowie einzelne Forschungsgruppen, die ihrem Hobby unbeschwert nachgehen können. Meiner Meinung nach kann man schlicht nicht behaupten und erwarten, dass durch eine massive Förderung von Quantencomputern sich vergleichbare Vorteile für die Gesellschaft ergeben, wie damals durch die Förderung der Transistor-Technologie. Das Marketing eilt leider dem Status Quo und dem theoretisch realisierbarem Mehrwert für die Breite der Gesellschaft um Lichtjahre voraus.