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Interview17.01.2017

Warum TV manchmal klingt wie durch einen Nylonstrumpf gefilmt

Kostendruck führt zu schlechterem Fernsehton

Urs Wihler, Hochschuldozent für das Fach Audioproduktion, Mitglied des VDT (Verband Deutscher Tonmeister) und der FKTG (Fernseh- und Kinotechnische Gesellschaft) Quelle: Urs Wihler Urs Wihler Hochschuldozent
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Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Urs Wihler kann die Beschwerden über schlechte Sprachverständlichkeit im TV gut nachvollziehen. Der studierte freiberuflicher Tonmeister (u. a. für den BR und die Bavaria Film) und Hochschuldozent ist Mitglied des VDT (Verband Deutscher Tonmeister) und der FKTG (Fernseh- und Kinotechnische Gesellschaft). Er sieht eine ganze Reihe von Gründen.





Medien berichten über immer mehr Zuschauer, die sich über schlechte Sprachverständlichkeit im TV beklagen. Woher kommen die Probleme Ihrer Einschätzung nach? Auch: Ist die Zunahme der Beschwerden eine „gefühlte“ oder tatsächliche?
Das Thema „Sprachverständlichkeit im Fernsehen“ ist komplex und die Probleme haben mehrere Ursachen. Ich versuche Ihnen gerne einen Überblick zu verschaffen. Die Zunahme der Beschwerden ist jedenfalls berechtigt und die Problematik ist bekannt. 2014 haben die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine diesbezügliche Empfehlung an ihre Programmschaffenden herausgegeben. Trotzdem beschäftigen sie zunehmend weniger Audio-Fachkräfte.

Wir alle lieben unsere schönen unauffälligen Flachbildschirme! Unglücklicherweise haben diese in den allermeisten Fällen einen miserablen Ton. Die Industrie kennt das Problem und versucht mit umfangreichen Parametern im Setup-Menu die Kunden zu täuschen. Da gibt es dann eine Toneinstellung für Sprache, eine für Popmusik, eine für Spielfilm usw. Das alles ändert nichts daran, dass die immer kleiner werdenden Lautsprecher aufgrund der flacher werdenden Bildschirme letztendlich nichts taugen können. Zumal sie dann auch noch nach hinten oder unten quäken. Der Sound ist genauso flach wie der Bildschirm.

Ich empfehle daher dringend zusätzliche Lautsprecher für einen guten Fernsehton, wie er zur Zeit der Bildröhre üblich war. Der Handel bietet diese an, jetzt für etwas Extrageld. Wer es dezent haben mag, kauft eine nicht zu günstige „Soundbar“. Diese beinhaltet tatsächlich wieder Lautsprecher, die nach vorne (!) zum Zuschauer abstrahlen. Sie ist damit ein wichtiger Schritt zum besseren Klang.

Nicht ganz so beliebt - weil Wohnzimmer vereinnehmend - sind die 5.1- bzw. 7.1- Surround-Anlagen (5 bzw. 7 Mittel-/Hochtöner und ein Basslautsprecher genannt Subwoofer). Diese bieten bei Spielfilmen und größeren Sportereignissen einen kinoähnlichen Rundum-Klang. Wenn ich meine Studenten frage, ob sie oder ihre Eltern eine Surround-Anlage besitzen, melden sich maximal zwanzig Prozent. Da ist also auf der Konsumentenseite viel Luft nach oben.

Besonders häufig scheinen fiktionale Formate wie etwa TV-Krimis in der Kritik zu stehen. Woran liegt das? Etwa: an Produktion, Postproduktion, Ausstrahlung?
Mit dem Aufkommen immer neuer Fernsehsender und gleichzeitig der Konkurrenz durch das Internet sind die Produktionsbudgets im fiktionalen Bereich teilweise dramatisch gesunken. Hatte man um das Jahr 2000 noch etwa 30 Drehtage für eine „Tatort“-Produktion zur Verfügung, ist das Volumen mittlerweile auf knapp über 20 Tage geschrumpft. Das bedeutet nicht nur weniger Probenzeit beim Dreh, sondern auch, dass suboptimale Takes (Aufnahmen) verwendet werden müssen. Es kommt dann möglicherweise zu folgenden Aufnahmesituationen:

Ein junger, ambitionierter Regisseur verwechselt Improvisation mit Authentizität und Lebendigkeit und lässt ohne Proben sofort aufzeichnen. Der Boomer (Tonassistent) weiß nicht, wo wann welcher Schauspieler seine Texte hat und das Mikrofon ist entsprechend nicht an der idealen Stelle. Als vermeintliche Lösung werden dann unsichtbar unter den Kleidern Mikrofone (Lavaliers) an den Schauspielern befestigt - „dann kann man alle Schauspieler gleichzeitig aufzeichnen“.

Nur klingen tut es nicht. Glaubt denn wirklich einer, dass eine Stimme direkt an der Brust aufgenommen gleich offen und gut klingt, wie wenn sie ganz natürlich über die Luft an unser Ohr (in unserem Fall das Mikrofon) gelangt? Das ist, wie wenn ich durch einen Nylonstrumpf filmen würde. Man muss man sich eigentlich wundern, dass es nicht mehr Zuschauerbeschwerden gibt.

Und vielleicht ist da noch ein vielversprechender und günstig verpflichteter Darsteller, der noch nie eine Stunde Sprechunterricht hatte, und nuschelt vor sich hin. Um den undeutlichen Satz im Synchronstudio nachzusprechen fehlt danach Geld und Zeit.

Erschwerend erscheint mir auch die Tatsache, dass vermehrt nicht im Studio sondern an Originalschauplätzen gedreht wird (mit entsprechendem Originallärm). Selbst mit modernsten Postproduktionsmitteln können zu laute Hintergrundgeräusche bestenfalls maskiert (überdeckt), aber oft genug nicht mehr entfernt werden.

Zum Maskieren nimmt man dann gerne (laute) Musik… welche hierzulande für mein künstlerisches Empfinden übermäßig verwendet wird. Da ein Filmmusik-Komponist pro Sendeminute GEMA-Einnahmen generiert, tendiert er dazu - so er von redaktioneller Seite nicht gestoppt wird - ein Produkt von Anfang bis Ende zuzududeln. Wobei ich ausdrücklich betonen möchte, dass gut eingesetzte Musik dramaturgisch enorm wichtig ist. Aber schauen sie zum Vergleich mal einige Folgen der amerikanischen Serie „Mad Men“ an, da gibt es eine Anfangs- und eine Schlussmusik und dazwischen meist gar nichts. Dafür versteht man jedes Wort!

Trotzdem muss ich ehrlicherweise natürlich sagen, dass eine gute Audio-Postproduktion erstaunlich viel retten kann!

Die Ausstrahlung des Fernsehtons ist relativ neutral, im Gegensatz zu Radiosendern, welche teilweise extremes Soundprocessing betreiben (achten Sie mal auf die spitzen zischelnden Stimmen der Moderation von „Klassik Radio“).

Welchen Einfluss hat die EU-Richtlinie zur Lautheit auf die Verständlichkeit einzelner Programmelemente?
Man muss zwischen zwei Richtlinien unterscheiden. Beide haben auf die Sprachverständlichkeit allerdings untergeordneten Einfluss.

Seit 2013 gibt es von der EU eine Empfehlung, nach der Musikabspielgeräte und mobile Devices nicht mehr lauter als 85dBSPL sein sollen. Da diese Empfehlung freiwillig ist und der informierte Konsument Möglichkeiten finden kann, diese Begrenzung zu unterlaufen, ist die Intension gut, aber der Nutzen zweifelhaft.

Seit 2012 gibt es die EBU (European Broadcasting Union) Empfehlung R-128, welche unter anderem die Lautheitsangleichung von unterschiedlichem Programm-Material regelt. So soll beispielsweise beim Umschalten auf ein anderes Programm kein subjektiver Lautheitsunterschied mehr zu hören sein, ebenso wenig wie eine Werbeunterbrechung lauter sein soll, als die davor und danach laufende Sendung. Eine vom Zuschauer lang ersehnte und deutliche Verbesserung.

Welche Rolle spielt die demografische Entwicklung des TV-Publikums für die Anforderungen an den TV-Ton?
Die demografische Entwicklung in Europa hat zur Folge, dass immer mehr Fernsehzuschauer eine Altersschwerhörigkeit haben. Gleichzeitig ist durch den vermehrten Gebrauch von Ohrhörern bei der Jugend, der häufige Besuch von Clubs und Konzerten (bei gleichzeitig hohen Lautstärken, keinem Gebrauch von Ohrenschützern und zu wenig Regenerationszeiten zwischen lauten Schallereignissen) eine signifikante Zunahme von Hörschäden zu verzeichnen.

Bei der Medienproduktion kann aber nur beschränkt auf die Erfordernisse der hörgeschädigten Bevölkerungsgruppe eingegangen werden (indem beispielsweise der Lautheitsunterschied zwischen Musik bzw. Umgebungsgeräuschen und Sprache vergrößert wird). Der diskutierte Einsatz von Filtern, welche Gehörschäden in der Mischung simulieren, halte ich weder für notwendig und aus zeitlichen Gründen auch nicht für nicht praktikabel. Maßgeblich bleibt sinnvollerweise der „normalhörende“ Erwachsene.

Vor welchen Herausforderungen steht der TV-Ton bei der zu erwartenden Nutzungs-Zunahme an mobilen Geräten wie Smartphones und Tablets?
Eine Audio-Mischung wird immer für ein bestimmtes Medium in seinem voraussichtlichen Kontext gemacht. Ein großer Kinofilm wird folglich für einen großen Kinosaal mit seinen zahlreichen Audiokanälen gefertigt. Derselbe Film auf dem Fernseher eines durchschnittlichen Wohnraums wiedergegeben, sollte andere akustische Eigenschaften besitzen. Seine Dynamik muss wesentlich kleiner sein (stellen Sie sich vor, was sonst die Nachbarn sagen, wenn der Dino vom „Jurassic Park“ rülpst!) und man hat weniger Kanäle zur Verfügung. Weniger Kanäle bedeutet allerdings auch weniger Transparenz. Wir Menschen können einzelne Tonsignale besser voneinander trennen, wenn diese aus unterschiedlichen Richtungen kommen. Daher muss ein Kinofilm für das Fernsehen anders gemischt werden, was wiederum Zusatzkosten verursacht, welche der Programmhersteller oder -verwerter vermeiden möchte. So wird gerne auf automatische Downmix-Verfahren zugegriffen, die leider nicht immer zum optimalen Ergebnis führen und unter anderem zu Lasten der Sprachverständlichkeit gehen können.

Das betrifft natürlich auch und speziell mobile Geräte, deren eingebaute Lautsprecherlein noch schlechter als bei den oben erwähnten Flachbildschirmen sind. Benutzer mobiler Geräte erwarten meiner Meinung nach allerdings auch nicht, dass die Portierung eines Spielfilmes auf einen kleinen Bildschirm und auf Minilautsprecher ohne Einschränkung funktioniert - das Konsumieren längerer Filme macht schlicht keinen Spaß. Daher hat es für mich wenig Relevanz, ob ich mit Produktionsmitteln in der Größenordnung von mehreren hunderttausend Euros wirklich jedes Device, das einen Schallwandler im Wert von ein paar Cents eingebaut hat, berücksichtigen muss. Und wer Kopfhörer benutzt, bekommt auch bei kleinen mobilen Geräten eine gute Tonqualität geliefert.

Die Situation wird sich ändern, wenn VR-Brillen (Virtuelle Realität) im großen Stil marktreif werden. Der dazugehörende „Immersive Sound“ (ein „dreidimensionaler“ Mehrkanal-Ton, der in Relation zur Kopfbewegung seinen Ursprung ändert) ist komplex und wird meine Branche vor neue spannende Herausforderungen stellen. Aber damit verlassen wir ein wenig unser Diskussionsthema…

Zusammenfassend wage ich zu behaupten, dass ein Großteil der Probleme mangelnder Sprachverständlichkeit den verkürzten Drehzeiten speziell hiesiger Fernsehproduktionen geschuldet sind. Natürlich haben schlechte Tonmischungen ebenfalls ihren Anteil. Denn auch dort macht sich der Kostendruck negativ bemerkbar und so wird unverständlicherweise bei vielen fiktionalen Sendungen immer noch auf Surround-Sound verzichtet, obwohl grade dieser zusätzliche Transparenz bringen könnte. Hollywood nimmt mehr Geld in die Hand und hat zudem eine starke Filmgewerkschaft, welche es Produktionsfirmen de facto untersagt billiges Personal einzukaufen. So erzeugen dortige Produktionsfirmen deutlich bessere technische (!) Qualität.

Der Zuschauer hat es aber in der Hand die Situation zu verbessern. Indem er, wie oben erläutert, nicht die eingebauten Fernsehlautsprecher verwendet, sondern sich zusätzliche Lautsprecher anschafft… und sich, so es gerechtfertigt ist, auch weiterhin über den schlechten Ton bei den zuständigen Sendern beklagt!

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