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Verbraucherschützerin für schärfere Regeln bei privater Gesichtserkennung

Welche Rechte Verbraucher jetzt schon haben

Dr. Annabel Oelmann, Vorstandsvorsitzende der Verbraucherzentrale Bremen e.V. Quelle: Verbraucherzentrale Bremen e.V. Dr. Annabel Oelmann Vorstand Verbraucherzentrale Bremen 04.10.2017
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Sicherheit muss die Freiheit schützen und darf sie nicht unverhältnismäßig einschränken"", sagt Dr. Annabel Oelmann, Vorstandsvorsitzende der Verbraucherzentrale Bremen e.V.. Schon heute schränkt das geltende Recht die automatisierte Gesichtserkennung im öffentlichen Raum ein. Doch sie wünscht sich mehr klare Regeln.







Ob bei der Terroristenfahndung oder bei der Smartphone-Anmeldung – Gesichtserkennung soll für mehr Sicherheit sorgen. Halten Sie das grundsätzlich für ein geeignetes Mittel?
Freiheit setzt Sicherheit voraus. Die Sicherheit muss die Freiheit schützen und darf sie nicht unverhältnismäßig einschränken. Die Möglichkeit der Gesichtserkennung, also der Identifizierung anhand von biometrischen Merkmalen, kann bei einer konkreten Bedrohung und Gefährdung von bedeutenden Rechtsgütern und somit auch bei der Terroristenfahndung ein geeignetes Mittel sein. Zu beachten ist dabei aber immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es muss eine Abwägung der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen mit denen der verantwortlichen Stelle vorgenommen werden.

Algorithmen werten auch Bilder aus, die aufgenommen wurden, lange bevor Gesichtserkennung ein öffentliches Thema war – was können Betroffene dagegen tun?
Die Betroffenen können der Verwertung der Bilder widersprechen. Der zu Unrecht Aufgenommene oder Gefilmte hat vor allem auch einen Unterlassungsanspruch nach den Vorschriften der §§ 823, 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

Darüber hinaus müssen Unternehmen (verantwortliche Stellen), die personenbezogene Daten erheben, den Betroffenen unter Angabe des Zwecks vor Beginn über die Datenerhebung zu informieren, § 13 Abs. 1 Telemediengesetz (TMG). Neben der reinen Erhebung ist der Betroffene durch die verantwortliche Stelle auch darüber zu informieren, an wen welche Daten übermittelt werden.

Den Betroffenen steht zudem gemäß § 34 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) ein Auskunftsrecht gegenüber der verantwortlichen Stelle zu. Die verantwortliche Stelle hat in diesem Rahmen Auskunft über nachfolgende Informationen zu erteilen

• die zu seiner Person [gemeint ist der Betroffene, Anm. d. Red.] gespeicherten Daten, auch soweit sie sich auf die Herkunft dieser Daten beziehen,
• den Empfänger oder die Kategorien von Empfängern, an die Daten weitergegeben werden, und
• den Zweck der Speicherung.

Die Auskunft ist in Textform (Abs. 6) zu erteilen, wenn nicht unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände eine andere Form angemessen erscheint, sie ist grundsätzlich unentgeltlich. Speichern verantwortliche Stellen Daten über Betroffene zum Zwecke der Übermittlung – dies betrifft vornehmlich die Tätigkeit von Auskunfteien über die Kreditwürdigkeit.

Einzelfallbezogen kann dem Betroffenen ein Widerspruchsrecht zustehen, wenn er aufgrund bestimmter Umstände besonders schutzbedürftig ist, §§ 20 Abs. 5, 35 Abs. 5 BDSG.
Den Betroffenen stehen außerdem die Rechte auf Berichtigung, Löschung und Sperrung seiner Daten zu, §§ 20, 35 BDSG.

Ein Anspruch auf Berichtigung besteht dann, wenn die gespeicherten Daten fehlerhaft, veraltet oder sonst wie unrichtig sind. Die verantwortliche Stelle hat diese Berichtigung nicht nur dann vorzunehmen, wenn der Betroffene sie darauf hinweist. Vielmehr hat sie die Daten von sich aus zu berichtigen, sobald sie deren Unrichtigkeit feststellt.

Ein Anspruch auf Löschung (§ 35 Abs. 2 BDSG) besteht, wenn die Speicherung der personenbezogenen Daten unzulässig ist, die Richtigkeit besondere Arten personenbezogener Daten von der verantwortlichen Stelle nicht nachgewiesen werden kann, der Zweck der Verarbeitung erfüllt und eine Speicherung daher nicht mehr erforderlich ist oder bei zum Zwecke der Übermittlung gespeicherten Daten eine längere Speicherung nicht mehr erforderlich ist.

Welchen gesetzlichen Regulierungsbedarf sehen Sie in Hinblick auf die Gesichtserkennung?
Da das Bundesverfassungsgericht bereits mit seiner Entscheidung aus dem Jahr 2007 (1 BvR 2368/06) klargestellt hat, dass eine Überwachung öffentlicher Plätze eine klare und restriktive gesetzliche Regelung benötigt, ist eine flächendeckende Überwachung des öffentlichen Raums mittels Videoaufnahmen und automatischer Gesichtserkennung rechtlich nicht ohne weiteres möglich.

Diesbezüglich enthält das Bundesdatenschutzgesetz auch bereits in § 6b (BDSG) die Regelung, dass „die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) nur zulässig ist, soweit dies zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen, zur Wahrnehmung des Hausrechtes oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegt Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen."

Allerdings enthält das Bundesdatenschutzgesetz in § 6b Abs. 1 auch die Bestimmung, dass „bei der Videoüberwachung von öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen, wie insbesondere Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren oder Parkplätzen, oder Fahrzeugen und öffentlich zugänglichen großflächigen Einrichtungen des öffentlichen Schienen-, Schiffs- und Busverkehrs der Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit von dort aufhältigen Personen als ein besonders wichtiges Interesse gilt“.

Für die optisch-elektrische Überwachung und damit auch den Einsatz der Gesichtserkennung im öffentlichen Raum benötigen die Ordnungs- und Polizeibehörden aufgrund des verfassungsrechtlichen geschützten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung klare restriktive Regelungen. Hiervon haben die Bundesländer im Rahmen ihrer Polizeigesetze und Landesdatenschutzgesetze teilweise auch schon Gebrauch gemacht. In NRW beispielsweise bietet das Polizeigesetz umfassende Klauseln zur Überwachung (nicht nur) mit Kameras.

Für den privatrechtlichen Bereich, insbesondere auch bei der Verwendung von biometrischen Merkmalen (Gesichtserkennung) als Sicherheitsmerkmal, wären meines Erachtens klare restriktive gesetzliche Regelungen dahingehend sinnvoll, dass der Betroffene (Nutzer) der Verwendung und der Speicherung seiner biometrischen Daten jederzeit widersprechen kann und dann auch die Löschung der bereits gespeicherten Daten beanspruchen kann, auch wenn er der Verwendung in der Vergangenheit schon zugestimmt hatte.

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