Menue-Button
← FACHDEBATTE Interview

Startups sehen Gefahr einer kontraproduktiven Stigmatisierung von KI

Welche Regeln es EU-weit braucht - und in welchem Kontext

Ronnie Vuine - Co-Sprecher der KI-Plattform beim Bundesverband Deutsche Startups e.V. Quelle: Deutsche Startups Ronnie Vuine Ko-Sprecher der KI-Plattform Bundesverband Deutsche Startups e.V. 03.06.2021
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
ZUR FACHDEBATTE

"Ich unterstütze die vorgeschlagenen Verbote und Kennzeichnungspflichten", sagt Ronnie Vuine mit Blick auf die geplanten KI-Regel in der EU. Der Gründer von Micropsi Industries ist Co-Sprecher der KI-Plattform des Startup-Verbandes, er warnt jedoch vor dem Versuch, gesellschaftliche Herausforderungen auf dem Feld der Technologie lösen zu wollen.







Mit einem neuen Rechtsrahmen will die EU-Kommission Grundrechte schützen und Vertrauen in KI stärken – wie gut erfüllen die geplanten Regeln diese Ziele aus Ihrer Sicht ganz grundsätzlich?
Eine transparente Regulierung schafft Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit, und das schafft im besten Fall Vertrauen und Akzeptanz. Der von der EU-Kommission vorgelegte Entwurf ist grundsätzlich geeignet, diese Ziele zu erreichen. Er legt allerdings einen Schwerpunkt auf Themen des Grundrechtsschutzes und unterstellt damit, dass die betroffenen Grundrechte, würde KI (eine Familie von Algorithmen) nicht reguliert werden, nicht oder schwerer zu wahren wären. Hier besteht die Gefahr einer beim Vertrauensaufbau kontraproduktiven Stigmatisierung des Werkzeugs KI, während die Ursache der Grundrechtsverletzungen nicht in der Technologie zu suchen sein dürften.  
 

JETZT HERUNTERLADEN

DIE DOKUMENTATION DIESER FACHDEBATTE

DIE DOKUMENTATION ENTHÄLT

alle Debattenbeiträge ungekürzt im Original
Übersicht aller aktiven Debattenteilnehmer
Summary für Ihr Top-Management
MEHR ERFAHREN


Die EU-Kommission unterscheidet KI nach dem Risiko. So sollen etwa bei der Kreditvergabe sehr strenge, bei Chatbots lockerere Regeln gelten – wie bewerten Sie die vorgesehenen Differenzierungen?
Der Ansatz eines risikobasierten Modells ist vernünftig und zu begrüßen. Auch die konkreten Differenzierungen erscheinen plausibel. Aus Startup-Sicht ist besonders wichtig, dass in der Praxis eine möglichst einfache, dezentrale, schnelle und transparente Risikobewertung möglich gemacht wird. Monatelange Unsicherheiten (vor und nach Inkrafttreten des neuen Rechtsrahmens) in einer für das Europäische KI-Ökosystem entscheidenden Phase sollten unbedingt vermieden werden. Die Situation nach der Einführung der DSGVO ist hier ein warnendes Beispiel. Der richtige Ansatz ist hier aus meiner Sicht, existierende Gerüste für Risikobewertung in den einzelnen Sektoren um KI-spezifische Risiken zu erweitern, statt ein neues, technologiespezifisches Risikobewertungssystem zu etablieren.
 
KI-gestützte Personenerkennung soll nur stark eingeschränkt, Social Scoring für Staaten ganz verboten sein. Wie sehen Sie diese Pläne?
Beide genannten Maßnahmen, Personenerkennung wie Social Scoring, sind völlig unabhängig von KI problematische Praktiken. Richtig ist, dass KI hier, wie überall sonst, eingesetzt werden kann und Effizienzgewinne bringt. Aus meiner Sicht gehören Maßnahmen, die fundamentale Grundrechte sichern sollen, nicht in ein Regelwerk, das eine bestimmte Technologie regulieren soll. So wichtig die Technologie aufgrund ihrer jüngsten Fortschritte sein mag, die Regeln unseres Zusammenlebens legen wir normalerweise fest, ohne aufzuzählen, mit welchen Werkzeugen wir sie nicht verletzen dürfen.

Social Scoring mit Stift und Papier, oder mit einer in den 1980er Jahren entwickelten Datenbank, ist einem System mit KI-Anteilen nicht vorzuziehen. Hier fällt die europäische Öffentlichkeit erkennbar auf das in totalitären Regimen gern bemühte Narrativ herein, dass die Umsetzung von Social Scoring-Systemen nicht das Ergebnis hoch fragwürdiger politischer Präferenzen sei, sondern gewissermaßen eine natürliche Folge einer angeblichen Überlegenheit im Umgang mit Daten und oder Algorithmen.
 
Was sollte aus Ihrer Sicht unbedingt noch in einem endgültigen EU-KI-Regelwerk stehen – und was auf keinem Fall?
Technologiespezifische Themen wie die Kennzeichnungspflicht für Chatbots sollten technologiespezifisch reguliert werden, und ihre explizite Erwähnung ist zu begrüßen. Auch klare Kriterien zur Risikoeinordnung, idealerweise verwendbar im Rahmen bestehender Risikobewertungs-Regelwerke wie wir sie im Maschinenbau lange kennen, sind sehr zu begrüßen.

Wie dargelegt haben dagegen Themen, die grundlegende Fragen des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger, wie Social Scoring, in einer Technologieregulierung nichts zu suchen. Ähnliches gilt für Themen der Ordnung der Öffentlichkeit, wie Fakes – wer Lügen verbreitet, sollte unabhängig davon, wie er sie herstellt, belangt werden.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich unterstütze die vorgeschlagenen Verbote und Kennzeichnungspflichten. Sie jedoch als KI-Problem darzustellen und entsprechend regulieren zu wollen, versucht gesellschaftliche Herausforderungen auf dem Feld der Technologie zu lösen. Das ist grundsätzlich fragwürdig, für das entstehende KI-Ökosystem problematisch und im Sinne der erklärten Ziele des vorgeschlagenen Regelwerks kontraproduktiv.

UNSER NEWSLETTER

Newsletter bestellen JETZT BESTELLEN

■■■ WEITERE BEITRÄGE DIESER FACHDEBATTE

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Prof. Dr. Antje von Ungern-Sternberg
Direktorin
Institut für Recht und Digitalisierung Trier (IRDT), Universität Trier

Prof. Dr. Antje von Ungern-Sternberg - Direktorin, Institut für Recht und Digitalisierung Trier (IRDT), Universität Trier
EU | KI

Neue Regeln für Qualitäts-, ■ ■ ■

Was die EU-KI-Verordnung leisten könnte

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Prof. Dr. Antje von Ungern-Sternberg
Direktorin
Institut für Recht und Digitalisierung Trier (IRDT), Universität Trier

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Prof. Dr. Matthias Wendland
Universitätsprofessor für Law and Business Innovation
Karl-Franzens-Universität Graz

Prof. Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) - Universitätsprofessor für Law and Business Innovation, Institut für Unternehmensrecht und Internationales Wirtschaftsrecht, Karl-Franzens-Universität Graz
EU | KI

Über Pioniercharakter, Vorbildfunktion ■ ■ ■

Was an der europäischen KI-Verordnung gut ist - ■ ■ ■

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Prof. Dr. Matthias Wendland
Universitätsprofessor für Law and Business Innovation
Karl-Franzens-Universität Graz

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Prof. Dr. Sabine Theresia Köszegi
Ratsvorsitzende
Österreichischer Rat für Robotik und Künstliche Intelligenz

Prof. Dr. Sabine Theresia Köszegi - Ratsvorsitzende, Österreichischer Rat für Robotik und Künstliche Intelligenz
EU | KI

Schlupflöcher und ■ ■ ■

Warum die EU-Pläne für die KI-Regeln in die ■ ■ ■

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Prof. Dr. Sabine Theresia Köszegi
Ratsvorsitzende
Österreichischer Rat für Robotik und Künstliche Intelligenz

ZUR FACHDEBATTE

ÜBER UNSERE FACHDEBATTEN

Meinungsbarometer.info ist die Plattform für Fachdebatten in der digitalen Welt. Unsere Fachdebatten vernetzen Meinungen, Wissen & Köpfe und richten sich an Entscheider auf allen Fach- und Führungsebenen. Unsere Fachdebatten vereinen die hellsten Köpfe, die sich in herausragender Weise mit den drängendsten Fragen unserer Zeit auseinandersetzen.

überparteilich, branchenübergreifend, interdisziplinär

Unsere Fachdebatten fördern Wissensaustausch, Meinungsbildung sowie Entscheidungsfindung in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Gesellschaft. Sie stehen für neue Erkenntnisse aus unterschiedlichen Perspektiven. Mit unseren Fachdebatten wollen wir den respektvollen Austausch von Argumenten auf Augenhöhe ermöglichen - faktenbasiert, in gegenseitiger Wertschätzung und ohne Ausklammerung kontroverser Meinungen.

kompetent, konstruktiv, reichweitenstark

Bei uns debattieren Spitzenpolitiker aus ganz Europa, Führungskräfte der Wirtschaft, namhafte Wissenschaftler, Top-Entscheider der Medienbranche, Vordenker aus allen gesellschaftlichen Bereichen sowie internationale und nationale Fachjournalisten. Wir haben bereits mehr als 600 Fachdebatten mit über 20 Millionen Teilnahmen online abgewickelt.

nachhaltig und budgetschonend

Mit unseren Fachdebatten setzen wir auf Nachhaltigkeit. Unsere Fachdebatten schonen nicht nur Umwelt und Klima, sondern auch das eigene Budget. Sie helfen, aufwendige Veranstaltungen und überflüssige Geschäftsreisen zu reduzieren – und trotzdem die angestrebten Kommunikationsziele zu erreichen.

mehr als nur ein Tweet

Unsere Fachdebatten sind mehr als nur ein flüchtiger Tweet, ein oberflächlicher Post oder ein eifriger Klick auf den Gefällt-mir-Button. Im Zeitalter von X (ehemals Twitter), Facebook & Co. und der zunehmenden Verkürzung, Verkümmerung und Verrohung von Sprache wollen wir ein Zeichen setzen für die Entwicklung einer neuen Debattenkultur im Internet. Wir wollen das gesamte Potential von Sprache nutzen, verständlich und respektvoll miteinander zu kommunizieren.