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Renaissance des Platt - Aber nicht im Privatradio

Warum Dialekte bisher noch eine Domäne der Öffentlich-Rechlichen sind

Dr. Andrea Kleen, Institut für Deutsche Sprache und Dr. Reinhard Goltz, Institut für niederdeutsche Sprache e. V. Quelle: Institut für niederdeutsche Sprache e. V. Dr. Reinhard Goltz Mitarbeiter Institut für niederdeutsche Sprache 23.11.2017
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Wir können das nicht für die ganze Bundesrepublik belegen, aber es lässt sich schon ein gewisser Trend zu mehr Regionalität im Radio beobachten." Das sagt Dr. Reinhard Goltz vom Institut für niederdeutsche Sprache e. V.. Zu erkennen sei auch eine deutliche Steigerung des plattdeutschen Angebots bei den Regionalsendern des NDR und bei Radio Bremen. "Die privaten Rundfunksender nehmen diesen Trend nicht auf – ihnen ist Platt offenbar (zumindest noch) nicht jugendlich genug." Das Interview entstand in Zusammenarbeit mit Dr. Andrea Kleen vom Institut für Deutsche Sprache.







Viele Radiostationen entdecken die Dialekte und die Mundart ihrer Region wieder. Sind das nur Einzelfälle oder erkennen Sie darin einen Trend?
Wir können das nicht für die ganze Bundesrepublik belegen, aber es lässt sich schon ein gewisser Trend zu mehr Regionalität im Radio beobachten. Wobei grundsätzlich festzuhalten ist, dass Plattdeutsch (oder Niederdeutsch) kein Dialekt ist, sondern eine vom Staat anerkannte eigenständige Sprache.

Zunächst müssen wir zwischen den unterschiedlichen Regionen und damit auch Dialekten unterscheiden: Während der Dialekt im Süden nach wie vor stark verbreitet ist und positiv bewertet wird, war das Ansehen der Regionalsprache Niederdeutsch in Norddeutschland lange negativ.

Ausgehend von unserer Umfrage zum „Status und Gebrauch des Niederdeutschen“ im letzten Jahr führen wir vom Institut für niederdeutsche Sprache und dem Institut für Deutsche Sprache derzeit ein Projekt durch, das sich mit Plattdeutsch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk beschäftigt. Hier erkennen wir zwar keine deutliche Steigerung des plattdeutschen Angebots bei den Regionalsendern des NDR und bei Radio Bremen, allerdings zeigt sich eine stärkere positive Resonanz. Die privaten Rundfunksender nehmen diesen Trend nicht auf – ihnen ist Platt offenbar (zumindest noch) nicht jugendlich genug.

Gerade im Zuge wachsender Globalisierung, wo sich innerhalb von Sekunden Meldungen über die ganze Welt verbreiten, nimmt auch in Norddeutschland die Hinwendung der Menschen zur regionalen Kultur, zu traditionellen Speisen ebenso wie zum Niederdeutschen zu. Während man in den 1960er und 1970er Jahren dem Plattdeutschen aufgrund der unmittelbaren Konkurrenz mit dem Hochdeutschen vor allem im Bildungsbereich kaum noch eine Funktion zubilligte und die Sprache kaum noch innerhalb der Familien weitergegeben wurde, beobachten wir nun eine Renaissance: Das Plattdeutsche wird beispielsweise im Kindergarten wie auch in der Schule (z. T. als AG, aber vermehrt als eigenes Schulfach bis hin zum Abitur) gelernt, es gibt eine große Anzahl an guten plattdeutschen Kinder- und Jugendbüchern und nicht zuletzt gibt es zunehmend Rock- und Popmusik auf Platt, die zum Teil auch im Radio gespielt wird: Von den „Fofftig Penns“ über die „Tüdelband“ bis hin zu den „Schkandoolmokers“. Die Aktionsplattform „Plattsounds“ hat hier ausgezeichnete Aufbauarbeit geleistet.

Lange wurden Dialekte und Mundart im Radio vor allem als Stereotype für Comedy genutzt, heute werden auch Nachrichten und Moderationen mit lokaler Sprachfärbung präsentiert. Warum werden Dialekt sprechende Figuren heute ernst genommen?
Das hat etwas mit dem Imagewechsel der deutschen Dialekte und der Regionalsprache Niederdeutsch zu tun. Die Werbekampagne „Wir können alles außer Hochdeutsch“ des Landes Baden-Württemberg hat beispielsweise bewirkt, dass die regionale Sprachfärbung nicht (mehr) mit Rückständigkeit, Unzulänglichkeit verbunden wird, sondern neben der Nähe zur Region vielmehr mit Kompetenz und Qualität.

In manchen Radiosendern werden nach wie vor die traditionellen Bilder von plattdeutschen Lebenswelten vermittelt. Bei jungen Leuten bis etwa 30 ist dagegen längst ein Imagewechsel zu erkennen. Der Slogan „Platt is cool“ drückt diese Einstellung aus.

Seit 40 Jahren strahlt Radio Bremen von Montag bis Freitag eine plattdeutsche Nachrichtensendung aus, in der Welt- und regionale Nachrichten in der Regionalsprache präsentiert werden. Anfangs mag auch hier das Ziel in einer Art Verfremdung bestanden haben; mittlerweile aber wissen alle Beteiligten, dass die „andere Sprachlichkeit“ große Vorteile beim Verstehen von Meldungen mit sich bringt. Es ist aufschlussreich, dass dieses Format bisher nur von NDR 90,3, dem Hamburger Regional-Programm, übernommen wurde. Bei NDR Welle Nord (Schleswig-Holstein) und NDR 1 Radio MV (Mecklenburg-Vorpommern) findet sich dagegen im Nachrichtenformat lediglich eine Wochenrückschau.

Dass aber das Plattdeutsche nicht nur im humoristischen Genre eingesetzt wird, belegt insbesondere das Niederdeutsche Hörspiel, dessen Vorläufer auf die 1920er Jahren zurückreichen und das sich bis heute großer Popularität erfreut. Grundsätzlich wird hier das ganze Spektrum hörfunktechnischer Mittel eingesetzt; die Dramaturgie ist allerdings in der Regel im Vergleich mit dem hochdeutschen Hörspiel weniger experimentierfreudig, was auch daran liegen mag, dass hierfür deutlich weniger Geld ausgegeben wird als für so manches hochdeutsche Projekt.

Einzelne Dialekte und Mundarten sind für Auswärtige kaum zu verstehen. Wie stark darf Dialekt/Mundart gesprochen werden?
Innerhalb der Medienanstalten wird darauf geachtet, dass kein tiefer Dialekt gesprochen wird, vielmehr kommt es zumeist zu einer Abflachung und Verhochdeutschung des jeweiligen Dialekts, wodurch er weitgehend überregional verständlich wird. Diese „eigenen“ Sprechweisen können dann als „Medienbayerisch“ o. Ä. bezeichnet werden. Für das Niederdeutsche hat man schon früh, insbesondere für das Hörspiel, eine überregionale Sprechweise entwickelt, das so genannte „Bremer Funkplatt“. Weil hier auf die typischen regionalen Besonderheiten verzichtet wird, wurde dieses Ausgleichsplatt von vielen Sprechern des Plattdeutschen abgelehnt.

Weil zwischen Niederdeutsch und Hochdeutsch aufgrund des sprachsystemischen Abstands keine Übergänge bestehen und das Plattdeutsche für Nur-Hochdeutsch-Sprecher ohnehin schwer zu verstehen ist, stellt sich die Frage auf dieser Ebene so nicht. Hier ist grundsätzlich zu entscheiden, ob niederdeutsche Angebote überhaupt in das Programm aufgenommen werden.

Im Zuge der Digitalisierung sind alle Programme weltweit über das Internet zu empfangen – andererseits werden die Inhalte immer vielfältiger. Wie sehen Sie die Zukunft von Dialekt und Mundart im Radio?
Die wenigsten jungen Menschen setzen sich heute noch vor das Radio und hören sich gezielt Sendungen an. Vieles wird irgendwann, wenn es passt, als Podcast gehört. Das gilt für kompakte Informationsformate ebenso wie für kurze Formen wie dem im NDR seit mehr als 60 Jahren bewährten „Hör mal ʼn beten to“, was in zwei Minuten mehr oder weniger humoristische Erzählungen aus dem Alltag bietet.

Im Umgang mit der Regionalsprache Niederdeutsch würden wir den Programmverantwortlichen mehr Mut wünschen. Nur über neue Inhalte und Formen ist die Attraktivität von Rundfunk-Angeboten zu erhöhen. Das gilt insbesondere für das Niederdeutsche, aber sicherlich auch für andere deutsche Dialekte.

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