Maschinelle Übersetzungen werden immer besser – welche Zukunft haben klassische, manuelle Übersetzungen noch?
Zukünftig werden klassische, d.h. vollständig manuell erstellte Übersetzungen, auf immer kleiner werdende Nischen beschränkt sein. Hierzu zählen literarische Texte, stark marketinglastige Dokumente oder Werbetexte. Übersetzungen aus und in Sprachen, für die aufgrund einer geringen Anzahl digitalisierten Textmaterials (noch) keine Sprachtools entwickelt wurden, sind ein weiteres Beispiel. Diese Nischen werden zwar langsam kleiner, jedoch werden sie wahrscheinlich nie vollständig verschwinden.
Auf der anderen Seite bedeutet diese Entwicklung auch, dass stark repetitive Texte, die keinerlei Herausforderung für einen Übersetzer darstellen, als erste automatisiert werden: Monotone Arbeit wird demnach soweit reduziert, bis nur noch Aufgaben übrigbleiben, die eine intellektuelle und hochwertige Übersetzungsleistung verlangen.
Lassen sich maschinelle Übersetzungen auch bei komplexeren Texten wie etwa literarischen oder wissenschaftlichen vorstellen?
Wissenschaftliche Texte verfügen in vielen Fällen über ein klar definiertes Fachvokabular, eine einfache Syntax und vermeiden Mehrdeutigkeit. Diese Charakteristika bieten ideale Voraussetzungen für eine hohe Qualität beim Einsatz maschineller Übersetzung. Bei literarischen Texten ist dies schwieriger: Zwar kann in einer Übersetzung ein gewisser Stil nachgeahmt werden – mit sprachlichen Mitteln einen gewünschten Effekt in der Zielsprache zu bewirken, ist jedoch ungleich schwieriger und kurzfristig nicht vollständig möglich.
Neue Technik übersetzt auch in Echtzeit – welche Auswirkungen sehen Sie künftig auf die Dolmetscher zukommen?
Erste Systeme zur Übersetzung gesprochener Sprache kommen bereits jetzt auf den Markt, allerdings ist die Qualität des übersetzten, gesprochenen Resultats noch nicht vergleichbar mit der Qualität maschineller Textübersetzung. Das liegt einerseits an den Eigenheiten der gesprochenen Sprache; hierzu zählen Dialekte und Akzente, unterbrochene und unvollständige Sätze, grammatikalische Fehler, umgangssprachliche Ausdrücke und Slang, aber auch Umgebungsgeräusche. Zum anderen ist auch die derzeit noch übliche Hintereinanderschaltung verschiedener Sprachkomponenten für die Übersetzung gesprochener Sprache ein Faktor, der die Qualität der Übersetzung beeinträchtigt: Wird bereits bei der automatischen Analyse eines Sprachinputs auch nur ein Wort nicht oder falsch erkannt, wird unter Umständen ein Satz, der keinen Sinn ergibt, zur maschinellen Übersetzung weitergeleitet. Durch eine Kombination von Fehlern entlang der Verarbeitungskette ergibt sich dann ggf. ein gänzlich falscher Sprachoutput, vergleichbar dem Phänomen der „Stillen Post“.
Durch den Einsatz von Methoden aus der Künstlichen Intelligenz (KI) sowie aus dem maschinellen Lernen wird die Zuverlässigkeit solcher Systeme in den kommenden Jahren stark zunehmen. Wie bereits bei der maschinellen Übersetzung werden immer mehr Einsatzgebiete für solche Systeme entstehen und einfache Dolmetschsituationen von Sprachübersetzungssystemen übernommen werden. Allerdings werden auch hier noch für längere Zeit die klassischen Dolmetschsituationen dominieren.
Welche Chancen könnte die Digitalisierung den klassischen Übersetzern oder Dolmetschern bei ihrer Arbeit im Gegenzug bieten?
Mit dem Einzug lernender Systeme in den Übersetzeralltag werden sich auch die Aufgabenfelder von Übersetzern ändern:
- Die klassische Übersetzung wird sich zu einer Aufgabe weiterentwickeln, die sich am ehesten mit dem heutigen Review-Prozess vergleichen lässt.
- Die Qualität solcher Systeme setzt das Lernen aus qualitativ hochwertigem Datenmaterial voraus. Die Identifikation und Auswahl guter Daten oder die Korrektur oder Aufarbeitung fehlerhafter Daten gehört zu den wichtigen Aufgaben künftiger Sprachexperten.
- Das Training solcher lernenden Systeme, die Beurteilung der Qualität des Outputs sowie die kontinuierliche Verbesserung auf der Basis qualitativ hochwertigeren Inputs sind weitere Aufgabenfelder für Übersetzer.
Anhand dieser Beispiele zeigt sich, dass sich mit zunehmender Digitalisierung neue Möglichkeiten für Sprachexperten und Übersetzer anbieten; mit wachsender Affinität zu neuen Technologien eröffnet sich eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten.