Zur Überwachung von Körperfunktionen kommen zunehmend sogenannte Insideabels zum Einsatz. Welche Chancen sehen Sie in dieser Technologie?
Implantierbare Herzschrittmacher gehören zu den bekanntesten und am weitesten verbreiteten Insideables. Sie sind bereits seit Ende der 1950er Jahre im Einsatz.
Heute verfügbare Insideables geben Patienten verlorene Sinnesfunktionen zumindest teilweise zurück. Dazu zählen Cochleaimplantate für Hörgeschädigte und Retinaimplantate für stark sehbehinderte oder blinde Menschen. Diabetiker profitieren von Sensoren unter der Haut, die kontinuierlich den Blutzuckerspiegel messen, und Insulinpumpen, die den Spiegel regulieren. Menschen mit Parkinson, Zwangsstörungen, fokaler Epilepsie oder auch chronischer Depression können ihr Leiden lindern mit tiefer Hirnstimulation, bei der Kerngebiete des Gehirns mit implantierten Mikroelektroden elektrisch angeregt werden. Sensoren, die den Blutdruck direkt in der Lungenarterie messen, ermöglichen ein besseres Management einer Herzinsuffizienz und können so zu einer Reduzierung von Klinikeinweisungen beitragen. Kamerakapseln, die geschluckt werden, liefern Bilder auch aus Abschnitten des Verdauungstraktes, die mit herkömmlicher Endoskopie nur schwer zu erreichen sind.
Die aktuelle technologische Entwicklung bringt immer mehr miniaturisierte und preiswertere Sensoren und Aktoren hervor, die weitere Anwendungsmöglichkeiten für Insideables eröffnen. Die kontinuierliche Messung einer zunehmenden Anzahl physiologischer Parameter verbunden mit Einflussnahme direkt im Körper wird eine neue Qualität bei Prävention, Diagnostik und Therapie hervorbringen.
Durch die Insideables fallen viele Daten an – wer sollte in welchem Umfang Zugriff auf diese erhalten?
Daten, die von Insideables generiert werden, sind persönliche Daten, die den einschlägigen Datenschutzvorschriften unterliegen. Die Patienten sind Eigentümer ihrer Daten. Sie entscheiden, wem sie in welchem Umfang Zugriff darauf gewähren. Dazu werden in der Regel behandelnde Ärzte gehören. Wünschenswert wäre, wenn die Daten auch in anonymisierter Form der Forschung zu Verfügung gestellt würden.
Insideables lassen sich nicht nur als Messinstrument nutzen, sondern auch um Körperfunktionen wie etwa die Sensorik zu verbessern. Welche Chancen sehen Sie darin und wo sollten die Grenzen gezogen werden?
Selbstoptimierer streben danach, Insideables auch ohne medizinische Indikation zur Verbesserung menschlicher Fähigkeiten wie Hör- und Sehvermögen, physischer Kraft, mentaler Agilität und Gedächtnis zu nutzen.
Dazu werden wir in einigen Jahren kontroverse gesellschaftliche Diskussionen erleben, bei denen Fragen untersucht werden wie:
Bin ich auf dem Arbeitsmarkt noch konkurrenzfähig, wenn ich keine leistungssteigernden Implantate habe?
Wie gehen wir mit einem Menschen um, dessen audiovisuelle Implantate eine Aufzeichnungsfunktion besitzen?
Lassen wir einen Studierenden zur Prüfung zu, der über ein Gedächtnisimplantat verfügt?
Einen Vorgeschmack haben wir im Sport bekommen zu der Problematik, ob Sportler mit einer Laufprothese einen Wettbewerbsvorteil vor anderen Teilnehmer haben, und der wenig schmeichelhaften Titulierung von Trägern einer Google Glass Datenbrille als „Glassholes“, aufgrund der Sorge, von diesen unbemerkt gefilmt zu werden.
Digitale Systeme sind häufig auch anfällig für Angriffe von außen – wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, die von Hackerangriffen auf Insideables ausgehen können?
Vernetzte Insideables sind ein potenzielles Ziel von Hackern. Bei diesem „Medjacking“ gibt es zwei Hauptangriffsszenarien:
Daten von Sensoren werden illegal abgegriffen und/oder manipuliert. Bei der Manipulation besteht die Gefahr, dass darauf basierende Therapieentscheidungen den Patienten schädigen können.
Umprogrammierung oder Fernsteuerung von Aktoren kann Gesundheit und Leben eines Patienten direkt bedrohen.
In beiden Fällen können Hersteller auch erpresst werden. Trotz entdeckter Sicherheitslücken bei bestimmten Defibrillatoren und Insulinpumpen sind bis heute keine Schädigungen von Patienten bekannt geworden. Das Risiko steigt jedoch mit zunehmender Anzahl vernetzter Insideables.
Wer auf Nummer sicher gehen will, kann es wie der frühere US-Vizepräsident Dick Cheney machen, der 2007 die Fernsteuerungsfunktion seines Herzschrittmachers mit Defibrillator aus Furcht vor einem Anschlag deaktivieren ließ.