Meinungsbarometer: Frau Reding, Millionen europäische Autofahrer sind bei grenzüberschreitenden Fahrten noch von unterschiedlichen digital-terrestrischen Hörfunkstandards betroffen. Was unternimmt die EU, um einen einheitlichen Standard für digital-terrestrisches Radio in Europa zu erreichen?
Viviane Reding: Im Radiobereich steckt die EU-weite Standardisierung noch in den Kinderschuhen. Das liegt vor allem daran, dass Radio von Politik, Wirtschaft und Verbrauchern vorwiegend als regionales oder gar lokales Produkt verstanden wird. Das ist auch im Grundsatz richtig so: Die Radiolandschaft in Europa ist ja auch deshalb so faszinierend, weil sie so vielfältig und gleichzeitig hoch innovativ ist. Eine EU-weite „Radiogesetzgebung“ hat deshalb zu Recht keine Befürworter. Standardisierung kann allerdings dennoch beim Übergang zum digitalen Radioempfang ein Thema werden. Im Markt bewegt sich in dieser Frage einiges. Derzeit ist der Standard DAB die meist genutzte digital-terrestrische Radiotechnologie in den Mitgliedstaaten der EU. DAB wird in Belgien, Dänemark, Deutschland, Spanien, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal, Schweden und in Großbritannien verwendet. Malta nutzt bereits den neueren Standard DAB+, dessen Einführung derzeit auch in Deutschland erwogen wird. Frankreich und die Niederlande wollen dagegen noch in diesem Jahr einen anderen neuen Standard, DMB, für digitales terrestrisches Radio einführen. Ich wünsche mir im Interesse gerade der Urlaubsreisenden und Grenzgänger, dass sich Gerätehersteller und Inhalteanbieter hier bald auf einen Standard einigen oder jedenfalls offene, miteinander kompatible Standards verwenden. Ich begrüße es daher, dass die Hersteller zunehmend Geräte auf den Markt bringen, die bei geringen Zusatzkosten mehrere Standards verarbeiten und wiedergeben können. Wenn sich diese positive Entwicklung fortsetzt, ist eine gesetzliche Standardisierung sicherlich nicht notwendig.
In Deutschland gibt es Bestrebungen, die Abschaltung von UKW über den geplanten Termin 2015 hinauszuschieben. Wie beurteilen Sie die diesbezügliche Situation in anderen europäischen Ländern?
Für einen einheitlichen EU-weiten Abschalttermin, wie wir ihn beim analogen Fernsehen für 2012 festgelegt haben, ist beim Radio aus meiner Sicht die Zeit noch nicht reif. Ich kann mir auch durchaus vorstellen, dass die 27 EU-Mitgliedstaaten angesichts ihres unterschiedlichen Entwicklungsstands verschiedene innovative Wege zum digitalen Radio wählen werden. Daher ist es aus Sicht der EU wichtig, dass die Mitgliedstaaten bei ihren Planungen berücksichtigen, was in ihren Nachbarstaaten – und darüber hinaus – geschieht und bereits an guten und weniger guten Erfahrungen gesammelt worden ist. Diesen Meinungs- und Erfahrungsaustausch wird die Europäische Kommission mit Nachdruck auf europäischer Ebene vorantreiben.
Wie soll der Aufbau der Infrastruktur des neuen digital-terrestrischen Hörfunks finanziert werden: Welche Möglichkeiten sehen Sie, dabei die Digitale Dividende zu verwenden?
Als digitale Dividende bezeichnet man das Frequenzspektrum, das durch die Abschaltung des analogen Rundfunks frei würde, wenn alle bisherigen Programme beibehalten und nur noch digital ausgestrahlt würden. Der Begriff „digitale Dividende“ stellt also keinen unmittelbaren Geldbetrag dar, mit dem man digitale Radionetze finanzieren könnte, sondern steht für Effizienzgewinne durch technischen Fortschritt. Die digitale Dividende im Bereich des terrestrischen Radios ist erheblich geringer als beim terrestrischen Fernsehen, wo durch eine angemessene Koordinierung auf europäischer Ebene der potenzielle ökonomische Nutzen der digitalen Dividende zwischen 2009 und 2015 um zusätzliche 20 bis 50 Milliarden Euro gesteigert werden könnte. Beim terrestrischen Radio fällt die digitale Dividende allerdings umso höher aus, je leistungsfähiger die digitalen Übertragungsstandards sind, die an die Stelle des analogen UKW-Radios treten. Hier besteht aus meiner Sicht der stärkste Anreiz für eine Umstellung auf die digital-terrestrische Radioübertragung.