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Deutsche Autogesellschaft in der Sackgasse

Linke wollen Autokrise für sozial-ökologische Verkehrswende nutzen

Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE Quelle: Fraktion DIE LINKE Sabine Leidig Verkehrspolitische Sprecherin Bundestagsfraktion DIE LINKE. 14.09.2017
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Alexander Hiller
Redakteur
Meinungsbarometer.info
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„Der Abgasbetrug und seine verschleppte Aufklärung offenbaren die Krise der Autogesellschaft. Ohne langfristige Ziele und ohne auf die vielen schädlichen Nebenwirkungen zu schauen wurde über Jahrzehnte das Autofahren und die Autoindustrie gefördert“, so Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Diese Krise eröffne aber jetzt die Chance für eine echte sozial-ökologische Verkehrswende.







Diesel-Skandal, selbstfahrende Autos von Start-Ups, künftige Verbrennungsmotoren-Verbote in verschiedenen Ländern - die deutsche Autoindustrie steht unter starkem Druck. Wo ist die sprichwörtliche deutsche Innovationskraft geblieben?
Der Diesel-Skandal hat gezeigt, dass eine zu große Nähe von Industrie und Politik die Innovationskraft abwürgen oder fehlleiten kann. Der Kuschelkurs der Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte mit der Autoindustrie bewirkte, dass hohe Absatzzahlen und Profite mit dem größtmöglichen Weiter-so erreicht wurden. Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz waren nachrangig.

Die Bundesregierung setzte in der EU nicht nur unnötig hohe Emissions-Grenzwerte durch, sondern   versagte darüber hinaus systematisch bei den Kontrollen – obwohl seit Jahren Hinweise auf Manipulationen vorlagen. So wurde die Innovationskraft nicht in die beste Abgasreinigung geleitet, sondern in „innovative Software-Tricksereien“.

Die vorhandene Innovationskraft wäre unter den richtigen Rahmenbedingungen auch für nachhaltige Produkte nutzbar, da bin ich sicher. Allerdings ist dazu sicher mehr demokratische Mitsprache von Beschäftigten und anderen Steakholdern nötig und weniger kurzfristige Gewinnorientierung.

Welche Zukunft hat der Individual-Verkehr angesichts von Klimawandel und Umweltproblemen überhaupt?
Klimawandel und Umweltprobleme, aber auch Gesundheitsschutz und Lebensqualität der Stadtbewohner*innen zwingen zu einer Verkehrswende, bei der nicht nur die Technologie eine Rolle spielt. Die Herausforderung besteht darin, Mobilität und Versorgung für alle zu sichern – mit deutlich weniger Verkehr. Eine Stadtplanung der kurzen Wege, in der die Straßen wieder zu Lebensräumen werden, ermöglicht individuelle Mobilität zu Fuß und per Rad. Mit einem gut ausgebauten Öffentlichen Verkehr und CarSharing-Angeboten werden die meisten Menschen auf ein eigenes Auto verzichten können – und dabei viel Geld sparen. Laut Studie des Umweltbundesamtes „Umweltbewusstsein in Deutschland“ haben sich zuletzt über 80 Prozent der Befragten und über 90 Prozent der Jugendlichen positiv zu der Aussage verhalten, dass weniger Autoverkehr in den Städten mehr Lebensqualität bedeutet.

Im ländlichen Raum werden viele Menschen sicher noch länger auf ein eigenes Auto angewiesen sein. Doch auch hier sind Alternativen nötig, damit niemand abgehängt wird.

In der Vergangenheit – etwa bei der Einführung der Katalysatoren – hat die Politik einen Technologiewandel massiv unterstützt. Wie kann und sollte die Politik in künftigen Strukturwandel der Autoindustrie eingreifen?
Derzeit laviert die Politik zwischen proklamierten Klimaschutzzielen, einer „Verkehrswende“ ohne Reduktionsziele und einer Verkehrsinvestitions- und Subventionspolitik, die keine neue Weichenstellung erkennen lässt: Unterfinanzierung beim Öffentlichen Verkehr, Milliardeninvestitionen in neue Straßen und Milliardensubventionen für Dieseltreibstoff und Dienstwagen. Schlechtere Leitplanken kann man einer Branche kaum setzen.

Notwendig wären deutlich strengere Grenzwerte für alle Emissionen – und zwar absolut und nicht gewichtsabhängig, so dass die Fahrzeuge ein ressourcenschonendes und zweckmäßiges „Downsizing“ erfahren. In einem Transport- und Mobilitätsplan (der den jetzigen Bundesverkehrswegeplan ersetzen soll), müssen die Ziele, Etappen und Maßnahmen für eine sozialökologische Verkehrswende entwickelt werden, die den Umweltverbund stärkt, und den motorisierten Individualverkehr reduziert.

Im Übergang zwischen E-Lastenrädern, leichten Nutzfahrzeugen und Pkw könnten Autohersteller neue Produkte entwickeln. Öffentliche Forschungs- und Fördermittel sind so einzusetzen, dass die Ergebnisse einen größtmöglichen öffentlichen Nutzen haben. Beispielsweise für Elektromobilität im ÖPNV, für städtischen Lieferverkehr, Handwerker, Taxen, Krankenwagen oder Pflegedienste.

Die Beschäftigten und die Automobilstandorte (Kreise/Regionen) brauchen Unterstützung beim Strukturwandel, um die Nachteile der notwendigen Veränderungen abzufedern und nicht abzuwälzen.

Millionen Besitzer von Diesel-Autos müssen sich vermutlich auf Fahrverbote einstellen – wer sollte die Diesel-Fahrer wie entschädigen?
Die Hersteller müssen die Betrugs-Diesel zurücknehmen und den Kaufbetrag erstatten oder die Abgasreinigungsanlage so nachbessern, dass sie auch auf der Straße funktioniert. Amerikanische Behörden haben exakt diese Lösung durchgesetzt. Technologisch ist die Nachrüstung möglich – zumindest für Euro 6 und auch für Euro 5 Diesel-Pkw. Die Bunderegierung hat sich beim „Dieselgipfel“ auf die Forderung des VDA eingelassen, lediglich ein Software-Update anzubieten. Damit lässt sie die Verbraucher*innen im Regen stehen. Darüber hinaus müssen Bußgelder verhängt werden, die nach EU-Recht gegen die Autohersteller bei den vorgefallenen Manipulationen vorgesehen sind. Dies hat die Bundesregierung bisher unterlassen und damit auf Einnahmen im zweistelligen Milliardenbereich verzichtet. Mit diesem Geld könnte aber die Nachrüstung von Altfahrzeugen (auch Euronorm 1-4) gefördert und in sozialen Härtefällen unterstützt werden.

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