Die Autoindustrie mit den großen Herstellern und den zahllosen Zulieferern gilt als Schlüsselbranche in Deutschland. Welche Chancen und Gefahren entstehen der Branche durch die Mobilitätswende?
Die großen Veränderungen gibt es bei der Antriebstechnik und beim Mobilitätsverhalten bzw. den Mobilitätskonzepten. Die deutsche Automobilindustrie ist in der Verbrenner-Welt sehr stark aufgestellt. Wenn sich diese Geschäftsmodelle überholen, birgt das offensichtlich das Risiko, dass man gerade besondere Stärken verliert. Daran hängt viel: erhebliche Wertschöpfung, Zuliefernetzwerke, regionale Wirtschaftscluster, Arbeitsplätze. Nach unseren Projektionen werden etwa durch die Elektromobilität je nach Marktdurchdringung bis 2030 rund 100.000 bis 400.000 Jobs verloren gehen. Man muss das allerdings in Beziehung zum demographischen Wandel sehen: Mit der Verrentung der Babyboomer-Generation wird die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte in Deutschland über die 2020er Jahre um mehrere Millionen sinken.
Auf der anderen Seite entstehen sicherlich Chancen: Wenn es große Neuerungen gibt in einem Bereich, in dem man bereits stark ist, muss man sich an die Spitze der Bewegung setzen. Wem es gelingt, die wichtigen Innovationen bei den neuen Technologien und Konzepten zu erbringen, kann zusätzliche Wertschöpfung aufbauen.
Neue Mobilitätkonzepte werden häufig von branchenfremden Unternehmen vorangetrieben. Welche Auswirkungen kann das auf den Markt haben?
Für Mobilität ist verschiedenes nötig: Hardware, Energie, Organisation. Die traditionelle Autoindustrie befindet sich im ersten Bereich, der zweite war durch die Mineralölkonzerne besetzt, für den letzten sorgte üblicherweise die öffentliche Hand etwa über Nahverkehr und Straßenbau. Jetzt spielen mehr und mehr Unternehmen aus dem dritten Bereich eine Rolle, indem sie Mobilität mit neuen Konzepten anders organisieren. Auch drängen Unternehmen aus dem zweiten Bereich, die ihre Stärken zum Beispiel bei Batterien haben, in die Fahrzeugproduktion. Gleichzeitig sehen wir erhebliche Investitionen der etablierten Autoindustrie in die beiden anderen Bereiche. Welche Technologien und Konzepte in welchem Umfang das Rennen machen, weiß niemand. Aber ein dynamischer wirtschaftlicher Prozess ist genau das Richtige, um Fortschritte zu erzielen.
Mit E-Autos drängen auch deutsche Startups wie e.Go auf den Markt – welches Potenzial sehen Sie darin?
Wir wissen, dass Marktwirtschaft nur mit wenigen Großen nicht gut funktioniert. Konkurrenz belebt das Geschäft, nicht nur bei der Preisgestaltung, sondern vor allem auch auf der Innovationsseite. Konzerne sind zweifelsohne wichtig, aber die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass eine einseitige Orientierung nicht gutgehen muss: Die Liste gescheiterter Großunternehmen ist lang.
Wie sollte die Politik die Branche bei den mutmaßlich bevorstehenden Transformationen begleiten?
Schauen wir auf den Arbeitsmarkt: Mittlerweile sollen Ältere mit Abfindungsangeboten wieder dazu bewegt werden, Großunternehmen zu verlassen. Das erinnert an die 90er Jahre. Angesichts von Fachkräfteengpässen und demographischem Wandel passt das aber nicht in die Zeit. Gerade in vielen technischen Bereichen sind Arbeitskräfte derzeit besonders knapp. Wer 30 Jahre Erfahrung in der Metall- oder Kunststoffverarbeitung in der Automobilbranche hat, kann auch bei einem Maschinenbauer oder Handwerksbetrieb noch wichtige Leistungen erbringen. Hier brauchen wir passende Konzepte, um das Instrumentarium der Arbeitsmarktpolitik gezielt einzusetzen: Vermittlungs- und Beratungsdienstleistungen, Unterstützung bestimmter qualifikatorischer Weiterentwicklungen, und möglicherweise zunächst auch Ausgleich von Lohndifferenzen, denn das Gehaltsniveau liegt in der Autoindustrie besonders hoch. An den Kosten könnte man die abgebenden Unternehmen beteiligen.
Grundsätzlich sehe ich die Weiterentwicklung der Kompetenzen der Beschäftigten als Schlüssel. Die öffentlichen Fördermöglichkeiten wurden zwar schon deutlich verbessert, sind aber ziemlich starr darauf ausgerichtet, Beschäftigte zu retten, wenn sie ins Hintertreffen geraten sind. So kann man im technologischen Wandel nicht in der Spitze mitspielen. Die Weiterbildungspolitik muss viel stärker proaktiv und kontinuierlich gestaltet werden.