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Millionen Zugriffe auf digitales Archiv-Portal

Was das Landesarchiv NRW wie zugänglich macht

Dr. Frank M. Bischoff, Präsident des  Landesarchivs Nordrhein-Westfalen Quelle: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Dr. Frank M. Bischoff Präsident Landesarchiv Nordrhein-Westfalen 22.08.2016
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Alexander Hiller
Redakteur
Meinungsbarometer.info
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60 Millionen Zugriffe verzeichnet das Portal archive.nrw.de pro Jahr. Der Präsident des  Landesarchivs Nordrhein-Westfalen, Dr. Frank M. Bischoff, in einem Gastbeitrag über Digitalisate, ihre Zugänglichkeit, ihren Erhalt und den Umgang mit Originalen.







Die Möglichkeiten der digitalen Technik werden von den Archiven in Nordrhein-Westfalen seit vielen Jahren entwickelt und genutzt. Vor 18 Jahren wurde das erste Archivportal in Deutschland online gestellt und bot bereits Informationen aus 420 in Nordrhein-Westfalen ansässigen Staats-, Kommunal-, Kirchen- und Wirtschaftsarchiven zur freien Nutzung im weltweiten Netz an. Seither wird das Portal archive.nrw.de systematisch ausgebaut und vor allem sehr stark nachgefragt, wie sich an 60 Mio. Zugriffen pro Jahr ablesen lässt.

Die Idee, den Benutzern Material aus vielen Gedächtniseinrichtungen gebündelt anzubieten, um ihnen das reiche Spektrum online verfügbarer historischer und kultureller Inhalte zu eröffnen, sie aber zugleich gezielt zu der gesuchten Information bei einer oder mehreren Einrichtungen hinzuführen, hat sich inzwischen durchgesetzt. Vor zwei Jahren konnte das Archivportal-D freigeschaltet werden, das Informationen deutscher Archive und Archivportale in fachgerechter Aufbereitung und Präsentation zusammenführt. Zugleich werden Inhalte des Archivportals-D in einer allgemeineren Darstellungsweise in der Deutschen Digitalen Bibliothek angezeigt, so dass eine breite Verfügbarkeit auch für kulturspartenübergreifende Recherchen gewährleistet ist. Auf europäischer Ebene bestehen gewissermaßen als Pendants das archivfachlich orientierte ArchivesPortalEurope und die auf übergreifende kulturelle Inhalte ausgerichtete Europeana.

Archive wollen durch Bereitstellung von Informationen über ihre Bestände im Internet deren öffentliche Sichtbarkeit erhöhen und ihre Erforschung durch Bürger und die Wissenschaft fördern. In den letzten Jahren leisten sie das verstärkt, indem sie digitale Abbildungen frei zugänglicher archivalischer Quellen online stellen. Sie bieten damit die Möglichkeit, von einem beliebigen Ort der Welt aus auf mittelalterliche Urkunden, frühneuzeitliche Karten und Pläne oder moderne Akten und Amtsbücher zuzugreifen. Wer auf diese Weise die historischen Quellen findet, die er sucht, kann unter Umständen Reisen und Kosten sparen und die Arbeit statt im Lesesaal des Archivs bequem vom heimischen oder beruflichen Arbeitsplatz aus erledigen. Er kann online gestelltes Archivgut verlinken respektive generell in verschiedenen Zusammenhängen – etwa in virtuellen Arbeitsumgebungen, die in kollaborativen Forschungskontexten immer wichtiger werden – nutzen und referenzieren.

Von einer großflächigen Digitalisierung und Online-Verfügbarmachung des von ihnen verwahrten kulturellen Erbes können aber auch die Archive Nutzen ziehen. Archive müssen die von ihnen verwahrten Unterlagen sichern und erhalten. Wenn archivalische Quellen in digitalen Reproduktionsformen genutzt werden, schont das die wertvollen, zumeist unikalen Originale. Eine großflächige Digitalisierung von Archivgut ist damit zugleich eine vorbeugende Bestandserhaltung und dient dem Schutz der historischen Pergamente, Papiere und sonstigen Trägermaterialien (z. B. audiovisueller Datenträger), auf denen Informationen aus mehr als 1000 Jahren Geschichte festgehalten sind. Die Digitalisierung kann originales Archivgut nicht ersetzen, aber bewahren helfen, indem sie ermöglicht, dass auf die Originale nur in den seltenen Fällen zurückgegriffen wird, in denen sich die Fragestellungen nicht anhand einer digitalen Reproduktion beantworten lassen.

Vieles spricht demnach für eine breit angelegte Digitalisierung von archivalischen Quellen. Allerdings dürfen die damit einhergehenden Herausforderungen und Grenzen nicht ausgeblendet werden. Digitalisierung verursacht erhebliche Kosten, nicht allein durch das Scannen der Originale, sondern vor allem durch erforderliche Nacharbeiten im Rahmen der Qualitätssicherung. Zu bedenken ist auch, dass die Bestände der Archive mit unterschiedlicher Intensität benutzt werden, manche aus persönlichkeitsschutz-, geheimschutz- oder urheberschutzrechtlichen Gründen noch gar nicht genutzt werden dürfen. Für wenig nachgefragte Bestände ist der Gewinn einer Digitalisierung folglich geringer als bei intensiv genutzten. Vor diesem Hintergrund hat das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Priorisierungskriterien entwickelt und die Dringlichkeit und Dienlichkeit einer Digitalisierungsmaßnahme für jeden einzelnen Bestand ermittelt. Weil es sinnlos wäre, alles sofort zu digitalisieren, ist angesichts der Größenordnung der Aufgabe eine mittel- bis langfristige Planung notwendig. Trotzdem klafft eine deutliche Lücke zwischen dem derart differenziert ermittelten Digitalisierungsbedarf einerseits und den verfügbaren Mitteln andererseits. Diese könnte mit Hilfe einer verstärkten Förderung durch Bund und Länder, durch Drittmittelgeber im Bereich der Forschungsförderung oder durch synergetische Kooperationen mit sonstigen öffentlichen oder privaten Partnern geschlossen werden.

Eine weitere zu bewältigende Herausforderung betrifft den Erhalt der Digitalisate, der heute als dringliche archivische Aufgaben neben Sicherung und Erhalt der überlieferten Quellen in ihrer Originalform tritt. Der Aufwand, hochqualitative Digitalisate herzustellen, ist erheblich, so dass man eine nochmalige Digitalisierung vermeiden will. Folglich müssen auch die erstellten Digitalisate langfristig erhalten bleiben, nach Möglichkeit unbegrenzt. Und genau hier überlagern sich die Anforderungen an den Erhalt von Digitalisaten zu analogem Archivgut mit jenen zur dauerhaften Sicherung von Unterlagen, die nicht mehr auf Papier, sondern digital entstanden und weiterverarbeitet worden sind.

Hier greifen im Prinzip dieselben Strategien und Maßnahmen, die die Archive im Rahmen der digitalen Archivierung entwickeln. Sie basieren in Deutschland derzeit im Wesentlichen auf vier Grundprinzipien: Verwendung von Standardformaten, Migration in neue Formate, sobald die alten obsolet werden, Anreicherung des Archivguts mit allen zum Verständnis und zum Erhalt notwendigen Metainformationen und redundante Speicherung. Durch die Verwendung offener und verbreiteter Standardformate sollen lizenzrechtliche Probleme und proprietäre Sackgassen vermieden und der Einsatz von marktgängiger Software zum Lesen der Dateien gewährleistet werden. Zugleich ist mit Standardformaten die Erwartung verbunden, dass sie über einen langen Zeitraum hinweg Gültigkeit besitzen. Je nach Anwendungszweck existieren unterschiedliche Formatstandards in der elektronischen Archivierung. Das Landesarchiv NRW verwendet etwa für Rastergrafiken TIFF oder ein unkomprimiertes JPEG2000, für Textdokumente PDF/A und für strukturierte Informationen XML- oder CSV-Formate in UTF-8-Zeichencodierung. Tritt der Fall ein, dass ein Archivformat auf Grund technischer Weiterentwicklungen nicht mehr bearbeitet oder angezeigt werden kann, muss die Migration in ein neues Standardformat erfolgen. Das sollte dann alle erhaltenswerten Eigenschaften des ursprünglichen Informationsobjekts darstellen können.

Die elektronische Archivierung versucht nicht, Datenträger zu erhalten. Während der Text einer mittelalterlichen Urkunde nicht von dem Pergament, auf das er geschrieben ist, getrennt werden kann und das Ensemble von Beschreibstoff und Text als Original gilt, lassen sich derartige Kategorien nicht sinnvoll auf elektronische Unterlagen übertragen. Authentizität und Integrität der Information sind nicht von einem Datenträger abhängig, auf dem die Daten im Verlauf ihrer Entstehung, Bearbeitung oder auch Archivierung abgespeichert wurden. Insofern stellt die verwendete Hardware bei der elektronischen Archivierung immer nur eine Momentaufnahme dar. Das IT-Zentrum des Landesarchivs NRW hat 2015 die bis dahin zur Sicherung seiner digitalen Bestände verwendeten LTO-Bänder durch hochperformante Network Attached Storages (NAS) abgelöst. Die Speicherung der aktuell 270 TByte Archivdaten erfolgt redundant auf drei Knoten pro NAS-Cluster. Insgesamt sind drei NAS-Cluster an verschiedenen Standorten des Landesarchivs aufgestellt, die ihre Inhalte untereinander automatisch replizieren, so dass ein sehr hohes Maß an Datensicherheit gewährleistet ist.

Gerade hat der Landtag in Nordrhein-Westfalen das Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung in Nordrhein-Westfalen, kurz E-Government-Gesetz, verabschiedet. Neben der Verbesserung der elektronischen Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltung will das am 16. Juli 2016 in Kraft getretene Gesetz bis zum Jahr 2022 die elektronische Aktenführung in der gesamten Landesverwaltung realisieren. Die nordrhein-westfälischen Archive haben die gesetzliche Aufgabe, die Behörden in diesem Prozess zu beraten und bei der Festlegung von Austauschformaten für elektronische Dokumente mitzuwirken. Es ist offensichtlich, dass die bereits seit einigen Jahren geleistete Archivierung von elektronisch entstandenen Unterlagen durch solche gesetzlichen Vorgaben in kurzer Zeit erheblich an Dynamik und Umfang zunehmen wird. Dafür rüsten sich die Archive und setzen insbesondere auf partnerschaftliche Lösungen, wie im Fall der Arbeitsgemeinschaft Digitales Archiv Nordrhein-Westfalen (DA NRW), die für staatliche und kommunale Archive, Bibliotheken und Museen in NRW Lösungen zur Langzeitarchivierung elektronischer Informationen entwickelt und zur Nutzung anbietet.

Wenn auch erste Archive bereits über eine ausschließliche Online-Nutzung ihrer Bestände reflektieren, wird die Einsichtnahme archivalischer Quellen in Lesesälen auf lange Sicht hin möglich bleiben. Und selbstverständlich hat der Erhalt der analogen Originale Priorität, weil sie eben nicht in allen ihren Eigenschaften durch eine digitale Abbildung repräsentiert werden können. Allerdings besteht auch kein Zweifel, dass innovative Entwicklungen vor allem im Bereich der digitalen Archive stattfinden. Die zunehmende Bereitstellung digitaler archivischer Informationen und Quellen führt zu neuen Interaktionsformen. Archive bieten immer mehr Online-Kommunikationsmöglichkeiten an und nutzen soziale Medien und Chats. Benutzer arbeiten interaktiv mit Archiven zusammen und liefern diesen inzwischen selbst Informationen über das dort verwahrte Archivgut, zum Beispiel im Rahmen von Crowdsourcing. Aber Nutzer interagieren online auch untereinander vermehrt, nicht allein über soziale Medien, sondern auch bei der gemeinsamen Erforschung von archivischen Quellen, für die sie sich die Einrichtung sogenannter digitaler Werkbänke wünschen. Es lohnt sich, die Chancen zu ergreifen, die die digitalen Archive zu bieten haben.

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