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Gesundheitsfalle schnelle Medien

Wie uns die digitale Welt verführt, Entscheidungen zu früh zu fällen

Professor Dr. med. Christoph Bielitz ist Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer der Sigma-Privatklinik in Bad-Säckingen. Die auf Psychosomatik, Psychotherapie und Psychiatrie spezialisierte Privatklinik liegt am Fuße des Südschwarzwaldes, nahe Basel. Menschen die ausgebrannt und erschöpft sind, finden hier einen Ort, Seele und Körper wieder in Einklang zu bringen. Im Sigma-Zentrum wird großer Wert auf Prävention, niedrigschwellige Angebote und ein achtsames Miteinander gelegt. Im Interview berichtet Professor Bielitz, wann Überlastung zu einem Burnout führen kann, warum achtsames Verhalten und Selbst-Reflexion der beste Schutz gegen ständige Überlastung sind und warum man sich digitale Ferien (Digital Detox) möglichst ab und an selbst verordnen sollte.

Können Menschen präventiv etwas dagegen tun, sich nicht ständig selbst zu überlasten oder sogar in einen Burnout zu geraten?
Die Einsicht ist ja bekanntlich der Weg zur Besserung. Wir sollten zunächst eine Bereitschaft dafür entwickeln, näher hinzuschauen und zu fragen, was mit uns los ist.  Das verlangt nicht unbedingt gleich einen professionellen Kontext. Ein Gespräch in der Partnerschaft oder im Freundeskreis kann zunächst ausreichend sein. Es ist gut, zu regelmäßigen Zeiten eine Rückschau zu halten und sich die Frage zu stellen: „Wie geht es mir gerade und warum geht es mir so? Warum bin ich so geworden und warum habe ich vielleicht Probleme?“ Das wäre schon eine erste Prophylaxe, indem ich in einem allerersten Schritt versuche, innezuhalten und zu reflektieren.

Sind gegebenenfalls die modernen Informationstechnologien ein Auslöser für die ständige Überlastung?
Unser beruflicher Kontext ist sicherlich geprägt durch eine nie dagewesene Informations-Verfügbarkeit. Ich spreche ganz bewusst nicht von Informationsflut, weil eine „Flut“ selbstgemacht ist. Denn ich entscheide oft selbst, was mich überflutet. Im Supermarkt oder in der S-Bahn kann ich mich der Werbung, der Musik, den Geräuschen natürlich nicht entziehen, die Reize sind einfach da. Aber ich kann sehr wohl entscheiden, ob ich Informationen über das Smartphone, iPad und dergleichen überflutend auf mich wirken lasse oder nicht. Ich bin derjenige, der die Hoheit darüber hat, ob ich während des Fernsehens zusätzlich noch google oder nicht. Ich bin derjenige, der entscheidet, ob ich während des Telefonates parallel noch E-Mails schreibe oder nicht. Das muss reflektiert werden. Hier ist es ein Irrglaube zu meinen, die "böse" digitale Welt und die Informationsüberflutung seien schuld am Krankwerden und der Häufigkeit der Überforderungs-Syndrome und Depressionen. Es geht meist um mehrere Verursacher, die in eine Krankheit führen können. Hier sollten wir zunächst bei dem Betroffenen selbst ansetzen und sein Verhalten hinterfragen. Sehr schnell werden wir dann feststellen, dass sein Umgang mit sich selbst mehr Achtsamkeit bedarf. Und auch die Interaktion mit anderen, sei es im beruflichen oder privaten Kontext, ist unter Umständen ebenfalls nicht ausreichend achtsam.

Können Sie für diese Achtsamkeit ein Beispiel nennen?
Der achtsame Mensch kann innehalten. Während des Innehaltens kann er reflektieren, was gerade in einer Situation geschehen ist und was auf ihn eingewirkt hat. Somit hat er eine Chance, zu relativieren und – nachdem er das in aller Ruhe getan hat – eine Bewertung der Informationen, die auf ihn eingeströmt sind, vornehmen. Wenn er das aber nicht tut, wird er reflexartig eine Antwort geben, nur um das Tempo des Interaktionspartners aufrecht zu erhalten – und ihm im vorauseilenden Gehorsam eine gut verdauliche Antwort zu geben. Das geht auf Dauer nicht gut! Der achtsame Mensch ist ruhig, bedächtig, besonnen. Der Irrtum liegt darin zu glauben, nur weil schnelle Medien schnell und die Informationen schnell verfügbar sind, selbst schnell eine Antwort parat haben zu müssen. Genau da passieren die Fehler, da man zu schnell eine Frage bejaht oder verneint, zu schnell eine Zustimmung bei hochkomplexen Vorgängen erteilt oder eine hochintelligente Intervention eines Interaktionspartners möglicherweise verwirft. Die digitale Welt verführt uns einfach, Entscheidungen zu früh zu fällen.

Was halten Sie von dem Konzept des Digital Detox und wie wirkt sich das auf unsere Achtsamkeit aus?
Digitale Ferien halte ich für äußerst gesund. Genau damit erreichen wir Achtsamkeit und lenken den Fokus vom vermeintlich wichtigen „Außen“auf die Fokussierung nach innen, also auf uns selbst. Der Irrglaube, ständig verfügbar sein zu müssen und ständig alle verfügbaren Informationen, die im Netz kursieren aufzusaugen, ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Jeder Mensch weiß doch, dass er nicht jederzeit alle Informationen aufnehmen kann. Dennoch sehen wir oft ein suchtartiges Verlangen, z.B. Online-Nachrichten von Nachrichtenportalen zu konsumieren. Um sich dann in einer vermeintlichen Informiertheit vermeintlich sicher zu fühlen, um vermeintlich noch am Puls der Zeit zu sein, um sich dann letztendlich selbst zu verlieren. Deshalb ist Digital Detox eine wunderbare Methode der Achtsamkeit. Natürlich gibt es auch die Kehrseite. Denn eine digitale Diät – wohl dem, der es sich leisten kann – kann in bestimmten Berufen, bei Selbstständigen oder Unternehmern heutzutage auch heikel sein. Wenn Sie mich zum Beispiel als Ärztlichen Direktor, Leiter und Eigner einer Klinik betrachten, mit 120 Akut-Patienten und Vorgesetzten von 240 Mitarbeitern, dann könnte digitale Diät auch fatale Auswirkungen haben.

Eben, wer kann sich eigentlich eine digitale Diät heutzutage im Berufsleben noch leisten?
Hier muss auch die Gesellschaft umdenken und eine Bereitschaft dafür entwickeln, dass jemand eine digitale Diät hält oder zeitweise nicht erreichbar ist. Ich fand den damaligen Vorstoß der ehemaligen Bundesarbeitsministerin, Ursula von der Leyen gut, digitale Ferien einzuhalten. Ich bin ein großer Anhänger davon, dass Digital Detox – wo es möglich ist – ritualisiert verordnet werden sollte.

Kommen wir noch einmal auf die Ursprungsfrage zurück, wie wir eine ständige Belastung und ein Burnout-Risiko erkennen können – oder wie es andere erkennen können.In dieser Frage liegt eine Hochkomplexität, denn hierbei sprechen wir über das menschliche Gehirn. Lassen Sie es mich so erklären: Wenn ein Mensch aus der Balance gerät, wenn er das Gefühl hat, mit sich und der Welt derzeit nicht mehr klar zu kommen – und diese Situation länger als 2-3 Wochen anhält – dann lohnt es sich, schon einmal genauer hinzuschauen. Und da sind wir schon bei den Symptomen und der Frage, was es denn eigentlich heißt, aus der Balance zu geraten? Aus der Balance kommen Menschen dann, wenn sie nicht mehr schlafen können, wenn sie nicht mehr in Ruhe nach Lösungen suchen können, wenn sie zwanghaft grübeln und die Gedanken nicht mehr präzise steuern können, wenn sie Kontrollverlust erleben und dadurch überflutet werden, wenn sie Ängste bekommen, wenn sie in der Interaktion mit anderen rasch die Konzentration verlieren, nicht mehr relativieren und nicht mehr vereinfachen können. Es passiert übrigens zunehmend, dass Patienten nicht mehr in der Lage sind, komplexe Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen.  Hierzu können dann noch leichte Symptome auf verschiedenen Organebenen dazu kommen – und davon können alle Organe betroffen sein. Das kann Herzrasen sein, Schweißausbrüche, Zittern, Verdauungsstörungen, durchgreifendes Erschöpfungsgefühl oder Stimmungsschwankungen.  Das sind alles Warnsignale, die, je länger sind anhalten, irgendwann zur Dekompensation führen, bei der also Körper und Geist diese Fehlfunktionen nicht mehr ausgleichen können. Wenn wir also jetzt schon wissen, dass eine frühzeitige Intervention sehr viel Leid verhindern kann, dann wäre die Aufgabe unserer Zeit, in der wir heute leben, die Vielgestaltigkeit der Symptome rasch ernst zu nehmen  und eben nicht über Monate zu verschleppen. Schon allein deshalb, weil sonst die Suizidgefahr steigt und sich das ständige Stressempfinden extrem gefährlich für das Herz-Kreislauf-System auswirken kann. Denn durch ständigen Stress verengen sich die Gefäße und auf Dauer wird auch die Arteriosklerose mit begünstigt. Wir Menschen sind nun mal so alt und so gesund wie unser Gefäßsystem. Zusammenfassend können wir also sagen: dieses vermeintlich lediglich psychische „aus der Balance geraten“ wird auf längere Zeit unmittelbar in eine körperliche Dysbalance führen und sich lebensverkürzend auf unseren Organismus auswirken.

Was sollte man also tun, wenn man derartige Symptome an sich bemerkt?Ich hatte bereits erwähnt, dass ich immer empfehle, zunächst mit Vertrauten zu sprechen. Doch wenn auf Dauer und nach ein paar Wochen die Befindlichkeit nicht besser wird – und da muss auch die Bevölkerung sensibilisiert werden – sollte schon der Weg zum Hausarzt gewählt werden. Wenn der Hausarzt ein gutes Netzwerk an Therapeuten hat, kann er den Patienten zum richtigen Fachkollegen schicken oder mitentscheiden, ihn in eine Tagesklinik oder Klinik mit psychosomatischem Schwerpunkt zu überweisen.

Mit Blick auf eine Therapie in einer Klinik nun die Frage: ist es nicht gerade für Menschen in Führungspositionen schwierig, fünf oder mehr Wochen aus dem Beruf auszusteigen und sich in einer Klinik behandeln zu lassen?
Die Frage ist berechtigt, da unsere Welt und unsere Wirtschaftswelt straff organisiert sind, ist es fast die Quadratur des Kreises, aus der man „gefühlt“ schwer ausbrechen kann. Es stimmt, dass die strukturellen Vorgaben für Manager und Chefetagen so sind, dass sie mit der Aura der Unentbehrlichkeit ihr Tageswerk verrichten müssen, um noch ernst- und wahrgenommen zu werden. Deswegen sehe ich die Lösung darin, das so zu organisieren, dass das obere Management im tiefen Vertrauen auf das mittlere Management Spielregeln aufstellen muss, wie zu delegieren ist. Der Manager tut sehr gut daran, sehr viel Zeit in die Managementkultur und die ihm unmittelbar nachgeordneten Mitarbeiter zu investieren. Ohne Dialog und Vertrauen geht es nicht. Oft wird der Denkfehler gemacht, der hochzerstörerisch ist, dass man keine Zeit hätte für Dialog und Gespräche. Die Zeit, die in nachgeordnete Personen investiert wird, die bekommt man doppelt und dreifach zurück. Es ist viel zeitaufwändiger, die Nichtkommunikation zu heilen, als eine regelmäßige Kommunikation zu pflegen. Wenn das funktioniert, dann ist auch das Recht auf Abwesenheit und Erholung gut möglich.

Burnout betrifft nicht nur Menschen in Führungsetagen, richtig?
Es wird vergessen, dass nicht nur die Manager, die diesen Titel führen, Manager sind, sondern eigentlich jeder Mensch Managementaufgaben hat. Insbesondere Frauen, die Haus, Beruf und Kinder organisieren müssen. Die völlig überblähte und auf Manager fokussierte Anwendung der Thematik des Überforderungssyndroms und des Stresses wird also ganz vielen Akteuren in der Gesellschaft nicht gerecht. Es wird ebenfalls gern vergessen, dass die Akteure, die sich um die Stressopfer kümmern, in der Diskussion ebenfalls oft nicht berücksichtigt werden.  Wer kümmert sich um die psychische Gesundheit der Akteure im Gesundheitswesen? Wer beleuchtet hier eigentlich das Phänomen, dass auch hier diese Menschen überfordert sein können und Gefahr laufen, auszubrennen. Hier müssen wir genau hinschauen und sensibilisieren.

Was ist das Besondere an dem Konzept des Sigma-Zentrums in Bad Säckingen, dem Sie vorstehen?
Wir haben deswegen Erfolg – und unsere Patienten kommen aus ganz Deutschland – weil wir der festen Überzeugung sind, dass inselartig ausgestanzte, einzelne Therapien nicht erfolgreich sein können. Zum Erfolg führt in der Sigma-Klinik die Beziehung, die die Therapeuten zum Patienten aufbauen und unsere kybernetische Herangehensweise. Das heißt: die Patienten finden bei uns ein angstfreies und wertungsfreies Klima. Wir arbeiten in angstfreier Atmosphäre mit niedrigschwelligem Zugang, dazu gehört viel Elastizität der Therapeuten. Wir arbeiten mit dem Grundverständnis, dass der Patient von sich aus ein Konzept mitbringt, welches wir Therapeuten erst verstehen müssen, um dann gemeinsam mit dem Patienten zu überlegen, was ggf. zu ändern ist. Das heißt, Teil der Therapie ist es, dass der Patient in die Erstellung des Therapieplans  mit eingebunden wird. Der Patient weiß am besten, was er nicht will und was ihm nicht guttut. Etwas Anderes ist es, wenn er konsequent Notwendiges vermeidet. Dann ist es die Kunst, zusammen mit ihm das Vermeidungsverhalten behutsam zu beleuchten und ihn gewissermaßen dazu zu verführen und zu ermutigen, dass was er vermeidet, wieder zu versuchen. Zu so einem Konzept gehört natürlich sehr viel Personal. Wir haben in unserer Klinik einen sehr hohen Personalschlüssel.

Wenden wir uns einer weiteren Besonderheit zu – Ihre Klinik gehört zu den singenden Krankenhäusern. Warum das?
Es gibt den Spruch „wer singt, kann keine Angst haben“. Es sei denn, er befindet sich in einer Stresssituation beim Vorsingen. Singen ist ausgleichend für die Seele. Wir haben nicht nur den Resonanzboden im Brustraum, wir haben auch die Resonanz im Kopf und in der Seele. Darum haben wir die Musiktherapie und den Chor als Empfangsraum für die Seele etabliert. Die Patienten können hier wiederentdecken, dass sie früher vielleicht schon einmal gesungen haben. Sie glauben gar nicht, wie viele Patienten zu uns kommen, die ihre Instrumente seit Jahren im Schrank stehen haben oder nicht mehr im Chor mitsingen aus vermeintlichen Zeitgründen. Sie haben einfach verlernt und vergessen, dass es ihnen einmal gutgetan hat, zu musizieren. Das ist übrigens ein ganz wichtiges Merkmal von psychischen Störungen, dass die lustbetonten Freizeitaktivitäten vollkommen in Vergessenheit geraten – sei es das Musizieren, das Sporttreiben oder die Pflege des Freundeskreises. Deshalb ist es für uns wichtig, auch das singende Krankenhaus zu leben.

Weitere Informationen zur Sigma-Privatklinik in Bad-Säckingen finden Sie hier.