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EMPFEHLUNG FÜR ENTSCHEIDER22.05.2025

Tourismus fördern in kleinen Städten?

Praktische Tipps aus einer Vor-Ort-Recherche in Lauscha, Thüringen


Die Landstadt Lauscha in Thüringen kann touristisch punkten: Sie hat UNESCO-Welterbestatus, nämlich mit dem immateriellen Kulturerbe „Herstellung von mundgeblasenem gläsernen Christbaumschmuck“. Zwei große Glashütten verkaufen diese und viele andere selbst gefertigte Glas-Produkte, mehrere kleine Geschäfte entlang der Hauptstraße bieten eigene Varianten des Weihnachtsbaumschmucks. Und doch sind es hauptsächlich Tagesgäste, oft in Reisebussen, die den Ort am Thüringer Wald anfahren. Dort eine Änderung zu längerem Aufenthalt hinzubekommen, ist eines der wichtigen Ziele der kleinen Stadt mit ihren 3.100 Einwohnern.

Wie sich diese Stadt aktuell ausrichtet, bietet sie auch anderen Kleinstädten Anregungen für die touristische Weiterentwicklung.

BILDERGALERIE

Was also benötigen Orte, um ihren Tourismus zu steigern? Die Wissenschaft nennt folgende Punkte:
- Aufbau, Ausbau, Modernisierung der touristischen Infrastruktur

- Förderung von Nachhaltigkeit und Regionalität

- Einbindung der und Akzeptanz des Tourismus durch die Bevölkerung

- Förderprogramme und Kooperationen nutzen

- Zielgruppenorientierte Vermarktung und Entwicklung von dazu passenden Angeboten

- Qualitätssicherung der Angebote und Weiterbildung der Gastgeber und touristischen Angebote

In Lauscha vorhanden sind wichtige Aspekte rund um die Infrastruktur: ein Bahnhof mit Zuganbindung, eine regelmäßige Buslinie in die Nachbarorte, Glasmuseum samt Touristinformation als Anlaufstelle, zwei große Glas-Manufakturen (so genannte Glashütten) mit Werksverkauf und Cafés, die lange und zur Durchfahrt notwendige Hauptstraße durch den Ort ist gerade erneuert worden, also in exzellentem Zustand, viel Natur rund um die Stadt, die in wenigen Minuten erreichbar ist

Die aktuellen Maßnahmen der Stadt lassen sich einer oder mehreren der wissenschaftlichen Kategorien zuordnen – und klingen in der Umsetzung sehr konkret:

Die Stadt arbeitet erstmals mit den zwei Nachbarorten Neuhaus am Rennweg und Steinach zusammen, um sich gemeinsam touristisch zu vermarkten. Das gab es bislang nicht! Die drei Bürgermeister tauschten sich dafür persönlich aus und wollen es weiterhin tun. Dabei soll der Schwerpunkt der Vermarktung auf die gesamte Region gelegt werden, dadurch sind mehrere touristische Aspekte abdeckbar. Neuhaus am Rennweg liegt direkt am Rennsteig, ist also für Wanderer und Skifahrer interessant. Steinach hat eine Ski- und Bikearena (die bis zur Wintersaison 2025/26 umgebaut wird), die sich für Mountainbike-Interessierte lohnt. Lauscha punktet mit dem Schwerpunkt Glas, insbesondere dem ganzjährig vertriebenen Christbaumschmuck.

In Lauscha gab es schon ein Projekt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Stadt- und Raumsoziologie der Fachhochschule Erfurt. Aktuell läuft ein weiteres Projekt, dieses Mal mit Schwerpunkt auf Vermarktung des Ortes. Solche Projekte bieten den Studierenden die Möglichkeit, ihr Wissen praktisch anzuwenden, und der Stadt Informationen und einen Überblick, die sie allein vielleicht nicht erhalten hätte.

Ein Problem sind leere Laden-Schaufenster in der Hauptstraße des Ortes. Sie werden von Touristen wahrgenommen und wirken unattraktiv. Der vor einem Jahr gewählte Lauschaer Bürgermeister Christian Müller-Deck (Lauschner Liste) möchte einen neuen Versuch starten, mit den Bewohnern ins Gespräch zu kommen. Ziel: Die Schaufenster von innen zu dekorieren oder von außen nach einer einheitlichen Idee zu gestalten.

Touristisch ebenfalls schwierig: Einige Teile des umliegenden Waldes wurden aufgrund des Borkenkäfer-Befalls gefällt. Diesen Wandel des Waldes müsse man begleiten, sagte u.a. der Bürgermeister. Er sieht auch Chancen in der Situation: Durch das Fällen entstanden einige neue Aussichten, die man vielleicht künftig forstwirtschaftlich als Aussichtspunkte belassen und gestalten könnte. Hier geht es auch um eine intensive Kommunikation mit dem Thüringen Forst. 

Eine öffentliche Toilette im Kern der Stadt wurde wieder hergerichtet und ist nun tagsüber geöffnet und ausgeschildert.

Da es im Ort keinen Supermarkt oder Ähnliches gibt, sucht Bürgermeister Müller-Deck nach einer sinnvollen Versorgungsvariante in der Stadt. Er sei in Verhandlungen über eine Einkaufsmöglichkeit. Objekte gibt es, ein Betreiber fehlt. Eine Anlaufstelle mit möglichst langen Öffnungszeiten, vielleicht auch als autonomes Geschäft (sog. Smart Store), betrachtet er als ideal.

Vor dem Rathaus und auf städtischem Grund werden die Beete wieder gepflegt und schick gemacht. Das sei eine bewusste Entscheidung, sagt der Bürgermeister, auch um Vorbild und Ansporn für die Lauschaer zu sein. Das Vorgehen zeigt Wirkung: Zum Frühlingsbeginn bepflanzten Lauschaer einen recht präsenten ehemaligen Brunnen an der Hauptstraße aus eigenem Antrieb.

Im Amtsblatt finden sich seit Amtsantritt von Christian Müller-Deck die Aktivitäten der Vereine wieder. Davon gibt es in Lausche viele. Einige von ihnen ergänzen Aspekte der örtlichen Infrastruktur: Sie organisieren große Feste (Lauschaer Carnevalverein e. V., Kirmesgesellschaft Köpplein e. V.), sie verbessern die Substanz des Kulturhauses (Lauschaer Carnevalverein), sie verbessern die Substanz des Schulhauses der ehemaligen Goetheschule und ziehen mit Ausschreibungen internationale (Glas-)Künstler an (Kulturkollektiv Goetheschule e. V.).

  Auch innovative touristische Ideen gibt es. So bieten das Glasmuseum und andere Glasbläser Besuchern die Möglichkeit, selbst eine Glaskugel zu blasen. Im Zentrum der Stadt wird Jan Enno Jürgens ab Juli ein neues Ladenkonzept ausprobieren. Einerseits bietet er Glasdesignern der Gegend im „Atelier SpissKist“ den Raum, ihre Arbeiten zu präsentieren und zu verkaufen. Andererseits möchte er Mitmachaktionen und Workshops für Erwachsene und Kinder anbieten. Und auch rund um die Natur gibt es etwas Besonderes: Beispielsweise mit Ziegen wandern zu gehen – ein Angebot der Lauschaerin Nadine Miersch.

Noch nicht angegangene Themen:
- Ausschilderung vor Ort muss sich verbessern (teils Parkplätze nicht ausgewiesen)

- Ausloten von Fördermöglichkeiten bei Bund und Land (z. B. um beim Laden-Leerstand voranzukommen)

- eventuelle Zusammenarbeit mit anderen Glas-Regionen in Deutschland und Europa

- fehlender Stolz der Lauschaer auf die Region/Heimat, d.h. das Wissen, was die Region besonders und attraktiv macht

- Ausbau von Übernachtungs- und Einkehrmöglichkeiten

- Definition der gewünschten touristischen Zielgruppen und auf sie ausgerichtete Werbung

Zwei Dinge müssen zusammenkommen, damit sich etwas bewegt: Institutionelles Handeln und der Wille der Bewohner. Der erste Punkt ist in Lauscha gegeben, Bürgermeister und Stadtrat haben sich aufgemacht, den Tourismus im Sinne eines angenehmen und längeren Aufenthalts zu stärken. Der Wille der Bevölkerung, den Tourismus zu stärken, zeigt sich am besten in der Begeisterung für den eigenen Ort und die Region. Möge sie wachsen - Stadt, Umgebung und Geschichte bieten jede Menge Gründe dafür.

Über die Recherche zum Artikel:
Journalistin Julia Reinard hat diese Tourismus-Recherche durch ein Aufenthaltsstipendium des in Lauscha ansäßigen Vereins Boukarou durchgeführt.