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Interview27.02.2018

Zensur- und Formathürden für Musikclips sind weg

Warum trotzdem nicht alles geht, wo alles möglich ist

Prof. Dr. Henry Keazor, Universität Heidelberg ZEGK - Institut für Europäische Kunstgeschichte Quelle: Susann Henker Prof. Dr. Henry Keazor Professor Universität Heidelberg
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Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Der Markt der Musikvideos ist in Bewegung. Forscher Henry Keazor von der Uni Heidelberg hat eine ganze Reihe von Trends beobachtet, auf die die Produzenten und andere Marktbeteiligte in den letzten Jahren reagiert haben.  





Musikvideos gehören zu den beliebtesten Inhalten auf Youtube und Co; Musik-TV fristet dagegen nur noch ein Nischendasein. Wie verändert das die Musikvideos?
In gewisser Weise hat die Wanderung der Musikvideos ins Internet und auf Smartphones eine paradoxe Veränderung nach sich gezogen: Während Sender wie MTV früher sehr strikte Auflagen hatten, was z.B. die Längen der Videos, aber auch die Darstellung bestimmter Inhalte wie Sex oder Gewalt anging, gibt es solche Zensur- und Formathürden im Netz nicht mehr: So ziemlich alles kann zu fast jeder Zeit gezeigt und angeschaut werden. Das hat allerdings dazu geführt, dass solche Formen und Darstellungen einerseits ihren spektakulären Charakter eingebüßt haben, andererseits vielleicht aber eben auch deshalb, also um wieder Aufmerksamkeit darauf zu lenken, mittlerweile eigene MTV-Music-Award-Kategorien gebildet bzw. wiederbelebt wurden. In der Kategorie „NSFW Music Video“ werden z.B. bei den seit 2011 verliehenen „OMAs“, den kreative Verbindungen von Musik und Technologie feiernden „O Music Awards“, nun auch besonders anstößige eigens Clips prämiert. Die Kategorie „Best Long Form Video“ wiederum wurde bereits 1991 eingeführt, als mit Clip-Album-Projekten wie Madonnas „The Immaculate Collection“ erstmals besonders lange Formate auf den Markt kamen – 2016 wurde diese Auszeichnung als „Breakthrough Long Form Video” wiederaufgelegt und an Beyoncés Videoalbum „Lemonade“ verliehen. In der Anfangszeit der Smartphones war es noch so, dass deren kleinere Displays eine eigene Bildsprache erforderten, aber in dem Maße, in dem nun immer neue audiovisuelle Apps entwickelt werden, bei denen – anders als bei den nach wie vor auch auf Fernsehschirme abzielenden Musikvideos – bereits ihr Zielmedium mitgedacht wird, ist das immer weniger notwendig, zumal die Screens der neueren Smartphone-Modelle auch immer größer werden. Am konsequentesten aber hat dennoch das erst 2016 von Ryohei Kumamoto gedrehte und von der Agentur TBWA\Hakuhodo Japan produzierte Musikvideo zu dem Stück „Run and Run“ der japanischen Pop-Band Lyrical School Display-Format und -Kontext des Smartphones zum Thema und Rahmen des Clips gemacht.

Herausragende Werte bekommen auch Comedy-Inhalte – inwieweit müssen Musikvideos heute witzig sein?
Das kommt ganz auf den mit dem Clip beworbenen Musikstil und deren InterpretInnen an –bestimmte Stile bzw. Stars und Humor gehen nicht gut zusammen, daher lässt sich der Attraktionswert von Comedy nicht allgemein auf Musikvideos übertragen. Humor war in der Musik zudem immer schon ein Mittel, Publikum anzuziehen, aber auch damals war es so, dass dies nicht auf jede Art von Musik und jede/n InterpretIn angewendet wurde, weil es dann auch jeweils passen musste. Zudem gibt es ja auch verschiedene Arten von Humor und der gängige Comedy-Humor ist oftmals nicht besonders subtil, was ihn für nochmals weniger Musikstile und -Stars adaptierbar werden lässt. Es ist insofern auch vielleicht kein Zufall, dass ein Preis, wie der bei den bereits erwähnten „OMAs“ 2011 vergebene Award in der Kategorie „Funniest Music Short“, bislang einmalig geblieben ist.

Einzelne Musikvideos erzielten sehr hohe Klickraten – kann dadurch eventuell das Musikvideo selbst zur ernstzunehmenden Einnahmequelle werden?
Das hängt von dem jeweiligen Geschäftsmodell ab, d.h. davon, woher die Musikvideos kommen, zu welchen Konditionen sie angeboten werden und wie genau die Einnahmen zustande kommen. Bei YouTube z.B., wo die Clips überwiegend frei zugänglich sind, aufgrund dazu geschalteter Werbung aber bei entsprechend hohen Klickzahlen Einnahmen generieren, funktioniert das. Dass Musikvideos aber an sich noch keine sichere Geschäftsbasis sind, zeigt der Fall des 2008 an den Start gegangenen deutschen Musikvideo-Dienstes „tape.tv“, der zwar ähnlich wie YouTube auf Werbeeinnahmen und Kooperationen setzte, 2016 aber Insolvenz anmelden musste. 

Apps wie Musically pushen Fanvideos – wie können solche Trends die professionellen Musikvideos verändern?
Hier muss man unterscheiden – eine App wie das erwähnte „musical.ly“, auf der Fans zu ausgewählten Songs ein Playback performen, die Aufnahme dann nachbearbeiten und auf Internet-Plattformen teilen können, wirkt, soweit ich sehen kann, weniger innovativ und inspirierend für professionelle Musikvideo-Macher. Diese nutzen solche Social-Media-Apps aufgrund ihres Erfolges vielmehr als Plattformen, um dort neue Songs und neue InterpretInnen zu präsentieren. Nichtsdestotrotz können die aktuellen Apps indirekt als Anregungen für professionelle Musikvideos dienen. So stellten und stellen Bands, Stars und Plattenfirmen z.B. Video- und Sound-Material online zur Verfügung und rufen die Fans im Rahmen von Preiswettbewerben dazu auf, dies als Grundlage für neue fan-gemachte Clips zu nehmen. Dank der immer leichter handhabbaren audiovisuellen Schnittsoftware, auch in Form von Apps, wird das für mehr und mehr Fans attraktiv, die so ganz neue Ideen umsetzen können und den Profis zukommen lassen können.

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