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Neues Fernsehen kommt schleichend

Wie sich Addressable TV in Deutschland entwickeln wird

Prof. Dr. Franz-Rudolf Esch, Direktor des Instituts für Marken- und Kommunikationsforschung, EBS Business School und Gründer ESCH. The Brand Consultants GmbH Quelle: ESCH. The Brand Consultants Prof. Dr. Franz-Rudolf Esch Gründer ESCH. The Brand Consultants 09.12.2015
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Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Vermarkter und TV-Sender gehen erste Schritte in Richtung Addressable TV und spielen Spots gezielt an einzelne Smart-TV-Zuschauer aus. Startet die Revolution der TV-Werbung?
Veränderungen bei Medien vollziehen sich oft nicht revolutionär, sondern meist eher in einem schleichenden Prozess. Addressable TV wäre der Abschied von der Ansprache eines Massenpublikums hin zu der gezielten Adressierung von Werbebotschaften an die richtigen Kunden in einer idealen Frequenz. Voraussetzung dafür sind internetfähige Fernsehgeräte. Mit Addressable TV wird die Vision vorangetrieben, Sendezeit programmatisch buchen zu können. Beim Addressable TV werden technische Reichweiten vermarktet, weil dort im Gegensatz zur klassischen TV-Werbung eine Ansteuerung in Echtzeit erfolgt. Werbeformate können somit nach Bedarf geschaltet und genau dann ausgeliefert werden, wenn die richtige Zielgruppe vor dem Fernseher sitzt. Für Werbetreibende entstehen neue Möglichkeiten, wie etwa Frequency Capping (Regulierung der Häufigkeit einer Werbeeinblendung bei einem TV-Gerät), gezieltes Targeting (genauere Zielgruppenansprache zur Minimierung von Streuverlusten) sowie die Ausweisung relevanter Messgrößen wie Einzelkontakte für Werbespots. Werber müssen so nicht wie bisher einen Werbeblock belegen, sondern können Einzelkontakte ansteuern. Vorteile liegen in der höheren Effizienz, in den günstigeren Kosten, der einfachen Buchbarkeit, der tieferen Zielgruppenansteuerung sowie der Erhöhung des ROI für Werbekampagnen. Die Voraussetzung für Addressable TV sind grundsätzlich gut: Laut GfK wurden seit 2008 15 Mio. internetfähige TV-Geräte verkauft. Schätzungen zufolge sind davon 12 Mio. tatsächlich an das Internet angeschlossen und können somit angesteuert werden. Die Aussagen bezüglich der Gesamtreichweite weichen allerdings voneinander ab und scheinen noch nicht zuverlässig zu sein. Ein Blick in die USA zeigt folgendes Bild: In den USA entfallen derzeit 4 Prozent der Ausgaben für TV-Werbung auf sog. Programmatic Advertising. Laut Prognosen wird dieser Anteil bis 2019 auf 17 Prozent (10 Mrd. USD) anwachsen. Da der amerikanische Markt oft als Vorreiter für Entwicklungen in Deutschland gesehen werden kann, ist somit zunächst nicht mit einer Revolution zu rechnen, sondern eher mit einem stetig anwachsenden Anteil von Addressable TV – zunächst auf sehr geringem Niveau. Einfluss auf die Entwicklung nimmt natürlich auch die Rechtsprechung, die in Deutschland wesentlich rigider ist als in den USA.
 
Ein wichtiges Kriterium für die gezielte Adressierung dürfte der Wohnort des Zuschauers sein. Regionale TV-Werbung soll aber reguliert werden. Was für einen rechtlichen Rahmen halten Sie für angemessen?
Wie bereits gesagt sind gesetzliche Rahmenbedingungen und datenschutzrechtlichen Hürden in Deutschland ungleich höher als in den USA. Diese Rahmenbedingungen sind zunächst als Datum zu akzeptieren. TV-Vermarkter haben vor Gericht zwar die Erlaubnis für regional angesteuerte TV-Werbung erstritten, ab Anfang 2016 wird der neue Rundfunkstaatsvertrag diese Werbeform aber voraussichtlich wieder verbieten. Man kann sicherlich kräftig darüber streiten, ob diese Regelung sinnvoll ist oder nicht. Persönlich halte ich dies für wenig sinnvoll: Warum sollte im Fernsehen nicht das möglich sein, was bei den Regionalzeitschriften, im Kino oder auf Plakaten schon lange vollzogen wird? Die Logik erschließt sich mir nicht. Es könnte gerade kleinen und mittelständischen Anbietern helfen, mehr auf ihre Angebote aufmerksam zu machen. Solange die Rechtsprechung dies allerdings nicht erlauben sollte, müssten sich Werbetreibende vom Fokus auf Regionalität verabschieden und sich auf andere Differenzierungskriterien konzentrieren.

Um Werbung gezielt zu adressieren braucht man Daten von Zuschauern. Woher kommen die?
Grundsätzlich ist die hinter Addressable TV stehende Idee, dass Werbetreibende ihre Zielhaushalte nach z.B. Einkommen, Kindern oder Kaufabsichten definieren und die Kabelnetzbetreiber die auf die Kriterien passenden Haushalte ermitteln und die Spots dort ausliefern.Hier sind die Möglichkeiten derzeit meiner Kenntnis allerdings noch begrenzt: Die Ansteuerung der TV-Geräte erfolgt über die IP-Adresse, die einen Rückschluss auf den Standort des Geräts zulässt. In Deutschland können Werber ihre Zielgruppe dementsprechend regional eingrenzen. Somit liegt der Fokus derzeit eher darauf, Erfahrungswerte zu sammeln. In den USA besteht außerdem ein Zugriff auf demografische Daten, sodass Zielgruppen dort gut definiert werden können. Anders sieht dies bei Pay-TV Anbietern aus: Diese können ihre Receiver den Abonnenten zuordnen und verfügen damit schon heute über demografische Daten.
 
Genaue Adressierung gilt besonders in und für Spartenprogramme als attraktiv. Wie könnte Addressable TV das Inhalte-Angebot verändern?
Die Messbarkeit und die flexibleren Vermarktungsmöglichkeiten sind vor allem für kleine Sparten- und Lokalsender interessant. Dementsprechend bestehen derzeit insbesondere Kooperationen der Vermarkter mit kleineren Sendern, die Probleme haben, über die von der AGF gemessenen klassischen Quoten Werbekunden zu akquirieren. Gleichzeitig ist Addressable TV für mittelständische Werbetreibende bzw. Marken mit begrenztem Werbebudget interessant oder für Marken mit sehr engen Zielgruppen. Eine Revolution der Fernsehwerbung ist allerdings in den nächsten Jahren in Deutschland noch nicht zu erwarten.

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