Zwanzig Jahre nach dem Deutschland-Start ist MTV wieder kostenlos zu sehen – als Livestream im Netz. Kommt das gute alte Musik-Fernsehen zurück? Bzw.: ist MTV überhaupt noch Musik-Fernsehen mit all den Serien vor allem am Nachmittag und Abend?
Prinzipiell ist das Musikfernsehen mit den Zuschauenden von damals genauso wie die Popmusik gealtert. Speziell MTV wurde dementsprechend immer weniger zum spezifischen Popmusik-Sender und immer mehr zum Vollprogramm, was sich nun auch bei den Ankündigungen der Livestream-Version weiterverfolgen lässt: Shows, Serien und auch Musik orientiert an Hitlisten.
Mit der Aufschaltung des Livestreams will sich MTV nach eigenen Angaben wieder mehr ins Bewusstsein der jungen Zielgruppe spielen. Inwieweit ist ein Livestream im Internet dafür das geeignete Mittel?
Jenseits der alten Zuschauenden und des geprägten, zuletzt sicherlich etwas profilschwächeren Markenzeichens sollen offenbar junge, neue Zielgruppen angesprochen werden. Die einen wie die anderen hören mittlerweile Popmusik und schauen Serien, in den Nutzungstechnologien unterscheiden sie sich (noch). Ein derartiges Programm sollte m.E. über das Netz auf allen, vor allem auch mobilen Technologien nutzbar sein. Um es locker zu sagen: Bildschirme gibt es mehr denn je, der eigentliche pure Fernseher spielt dabei für die Zielgruppen eine immer geringere Rolle und ist unpraktisch.
Bei jungen Leuten gehören Musik-Videoclips nach aktuellen Untersuchungen zu den beliebten Inhalten auf Videoplattformen wie YouTube. Wie kann ein linearer Stream gegen solche Plattformen ankommen?
Die kurzen, knalligen Visualisierungen von Popmusik haben spätestens seit der Expansion der oftmals freien Verfügbarkeiten und vielen Plattformen im Netz eine ganz neue Attraktivität erhalten: Zum einen bleibt die Neugierde an den bildlichen Umsetzungen, den Infos und Geschichten zu den Stars, zum anderen und direkt angeschlossen zählt der Austausch der Zielgruppen untereinander (Stichwort Social Media) und das Selbstgestalten, freilich immer im vorgegebenen Rahmen. Wenn MTV als Livestream hier ansetzen und ein eigenes vernetztes Angebot mit klarer (linearer) Handschrift (z.B. Popmusik und ihre bunten Kontexte) bereitstellen kann, gibt es m.E. eine gute Chance der Neu-Profilierung. Ob das mit Serien bei der starken Konkurrenz und großen Beliebtheit von aktuell etwa "Netflix" oder "Amazon Prime" gelingen kann, ist abzuwarten.
MTV gilt als Vorreiter einer globalen Popkultur. Wie wird MTV heute seinem selbst formulierten Anspruch als "Symbol der Musik- und Popkultur" gerecht?
Als ein Symbol oder besser eine Marke hat sich MTV sicherlich in die medialen Popmusikkulturen eingeschrieben. Wobei das ganz klar für die achtziger und neunziger Jahre gilt. Seither hat die Marke sich zwar ausdifferenziert, gleichwohl m.E. klar an Profil verloren. Kultürlich ist Popmusik mittlerweile auch Thema der älteren Generationen, die damit aufgewachsen sind. Ebenso finden junge Generationen ihren Weg, ihre Musiken, entdecken Althergebrachtes neu, Popmusik dient hier nicht mehr so sehr als Abgrenzung per se, das geschieht über Technologien, die Ältere nicht so schnell verstehen und vielfältige andere mediale Freizeitangebote, mit denen Musik oft im wichtigen Zusammenhang steht, insbesondere im Rahmen von Events, Games, Sport etc. Kurzum: MTV ist als Symbol in die Medien- und speziell Fernsehgeschichte der Popmusik eingetragen, aktuell für die Beschäftigung mit Popmusik eher weniger zwingend.