Jeder Spruch, jede Verfehlung wird im Internet für große Zeiträume gespeichert. Wie verändern sich dadurch die Anforderungen an Politiker?
Zunächst: Die Konservierung von Äußerungen und Verhalten von Menschen ist keine Neuheit des digitalen Zeitalters. Neu ist allerdings der deutlich leichtere Zugang – insofern sich die entsprechenden Daten tatsächlich im Internet finden und die schiere Menge der gespeicherten Informationen. Darüber hinaus findet mit den Möglichkeiten, die Twitter, Facebook etc. bieten, eine – jedenfalls scheinbare – Einebnung des Unterschieds zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort statt: Die Gelegenheit zur kurzfristigen Äußerung – auch in Reaktion auf Andere – mag dazu verleiten, sich in einer Weise schriftlich und öffentlich auszudrücken, die sonst eher dem persönlichen Gespräch vorbehalten gewesen wäre. In der Sprechsituation kann eine Sprecherin jedoch eine Äußerung schnell einsortieren oder aber, nach gründlicherem Nachdenken, zurückziehen. Dagegen handelt es sich, trotz häufig anzutreffender laxer Ausdrucksweise, bei den Beiträgen in sozialen Medien um schriftliche und öffentliche Verlautbarungen, die sogleich verbreitet und gespeichert werden. Politiker müssen sich erstens diese Situation verdeutlichen und zweitens überlegen, was sie mit ihrem Engagement in diesen Medien erreichen wollen. Wer tatsächlich in einen öffentlichen Diskurs eintreten will und nicht auf Stimmungsmache abzielt, dem ist vor allem Sorgfalt und Bedacht angeraten. Bedacht bei der Entscheidung, wann es angezeigt ist, sich zu äußern, und Sorgfalt bei der Formulierung.
Twittern zu jedem Anlass – Politiker müssen immer schneller auf Ereignisse reagieren. Wie wirken sich Geschwindigkeit und Verkürzung auf die Politik aus?
Zur Beantwortung dieser Frage müsste man Untersuchungen anstellen (oder heranziehen), inwiefern sich die wahrgenommene höhere Geschwindigkeit und Verkürzung tatsächlich auch in den politischen Aushandlungsprozessen niederschlägt. Hier greifen die Verfahren der Mehrheitsfindung und Notwendigkeit der Kompromissbildung und damit eigene Gesetzmäßigkeiten. Selbst der Twitterkönig Donald Trump muss zur Durchsetzung seiner Auffassungen auf die verfassungsmäßig vorgesehenen Entscheidungsverfahren zurückgreifen.
Oft werden (soziale) Medien auch direkt aus Sitzungen, Verhandlungen oder Konferenzen bedient. Was bedeutet das für die Arbeit von Politikern?
Auch hier ist es so, dass die Weitergabe von Informationen aus nichtöffentlichen Zusammenkünften nicht erst mit sozialen Medien möglich wird. Die Bekanntmachung und daneben die Auffindung von Interessenten für Hinweise werden nur einfacher. Die faktische Nutzung dieser Möglichkeiten ergibt zunächst eine Unsicherheit der Teilnehmer von Sitzungen in Bezug auf die Wahrung von Vertraulichkeit. Dieser Umstand könnte aber Anlass für alle Beteiligten sein, im eigenen Interesse grundsätzliche Überlegungen zu den Werten von Transparenz auf der einen und Vertraulichkeit und Vertrauen auf der anderen Seite sowie zu kurzfristigen und langfristigen Zielen anzustellen.
In sozialen Medien können Politiker mit Wählern in Kontakt treten, direkte Zustimmung oder Ablehnung erleben. Ist das ein Vorteil für die Arbeit von Politikern oder nur zusätzliche Belastung?
Es kann ein Vorteil sein, wenn sich die Politiker bewusstmachen, dass diejenigen Teile der Bürgerschaft, die sich in der Weise engagieren, nicht repräsentativ sind für die Gesamtwählerschaft. Unter diesem Vorbehalt kann der Prozess der Bildung eines „Volkswillens“ über die Verfahren der parlamentarischen Demokratie durchaus dadurch gestützt werden, dass Politiker durch die Nutzung sozialer Medien unmittelbarer Bedürfnisse und Einschätzungen der Bürger erkennen. Die selbst betriebene Darstellung in sozialen Medien bietet Politikern auch eine Chance, sich mit einer reflektierten Haltung zu positionieren. Dazu gehört z. B. auch der Verweis, dass man zu einem Sachverhalt noch keine Meinung ausgebildet hat oder aber, dass man seine Auffassung im Lichte anderer Überzeugungen oder neuer Informationen geändert hat.