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Weg von der Datensparsamkeit, hin zu strenger Verfolgung von Datenmissbrauch

Wie die Pflege digitaler werden kann - für den einzelnen und die Gesellschaft

Pia Maier - Vorstand, Bundesverband Internetmedizin e.V. (BiM) Quelle: BiM Pia Maier Vorstand Bundesverband Internetmedizin e.V. (BiM) 05.05.2021
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Pia Maier vom Bundesverband Internetmedizin e.V. (BiM) sieht viele Vorteile in digitaler Unterstützung in der Pflege. Dafür sind aus ihrer Sicht Investitionen erforderlich. Bei der Verabreitung von Daten sei ein Umdenken nötig - und sie mahnt: "Digitale Inhalte gehören in jede Ausbildung, in jedes Studium."







Telemedizinische Angebote und sogenannte digitale Helfer sollen verstärkt in der Pflege eingesetzt werden. Wo liegen die wichtigsten Vorteile digitaler Tools in der Pflege?
Die Vorteile sind in der Pflege vergleichbar mit anderen Gebieten. Digitale Tools können erstens Wege einsparen, wenn etwa Expert:innen via Telemedizin in die Häuslichkeit geholt werden können. Da die Organisation und Bewältigung von Wegen für Pflegebedürftige (und ihre Angehörigen) oft mit enormem Aufwand verbunden sind, ist der Vorteil hier besonders groß. Telemedizinische Arztbesuche, die von Assistent:innen vor Ort begleitet werden, gibt es schon länger mit guten Erfahrungen. Sprechübungen oder Bewegungstraining kann auch via Video-Call angeboten werden - sofern die Pflegebedürftigen das wünschen.

Zweitens bietet Digitalisierung die Möglichkeit der Automatisierung - auch hier kann die Pflege enorm profitieren. Sensoren können Hinweise geben, wann eine Aktion erforderlich ist, und so beiden Seiten entgegen kommen: Die Pflege kann bei Bedarf reagieren und auf Routine-Gänge zur Kontrolle verzichten und die Pflegebedürftigen erhalten bei Bedarf schneller Abhilfe. Sensoren können erfassen, dass eine frische Einlage erforderlich ist, oder etwas nachbestellt werden muss. Vor allem, wenn die Sensorik dann auch vernetzt agiert, und die Informationen an einer Stelle zusammenlaufen, kann die Betreuung wirklich verbessert werden. Da sind wir noch nicht, aber sie kommt in den Blick.

Der dritte Bereich ist die Kommunikation - die Geräte sind vernetzt und immer öfter über Sprache steuerbar. So kann vor allem die Dokumentation in Zukunft durch digitale Angebote wesentlich vereinfacht werden - sowohl durch Sprachsteuerung wie auch durch automatisches Erkennen von Prozessschritten, die dann auch gleich dokumentiert werden.  

In manchen Bereichen ist auch die asynchrone Kommunikation ein großer Vorteil. Wie in einem Chat oder bei SMS-Nachrichten, kann ich mit digitalen Helfern Bedürfnisse adressieren, die nicht sofort geklärt werden müssen. So können die Gefragten in Zeiträumen antworten, die nicht für andere Aufgaben gebraucht werden. Das gilt natürlich nicht für dringende Bedürfnisse, aber der Wunsch nach Einkaufshilfe oder die Bitte um einen Termin muss nicht sofort erledigt werden, sondern kann zu gegebener Zeit bearbeitet werden.

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Die Verarbeitung der Gesundheitsdaten soll effizienter und dabei sicher erfolgen. Wie bewerten Sie die geplanten Regeln diesbezüglich?
Die Entwicklung geht in die richtige Richtung, aber sie könnte noch besser werden. Gesundheitsdaten sind dann wirklich wertvoll, wenn mit ihnen auch etwas für die Gesundheit getan werden kann. Derzeit verfügen Patient:innen kaum über ihre Daten. Wechseln sie den Arzt/die Ärztin, sind sie in der neuen Praxis ein unbeschriebenes Blatt. Ein Haufen unsortierter, unstrukturierten Daten, den Patient:innen heute vielleicht in Form von Bildern, einzelnen Laborergebnissen oder eigenen Daten mitbringen, sind mit einem Schuhkarton voller Belege vergleichbar: Daten: ja, Information: nein. Erst wenn die Daten strukturiert mit in die neue Praxis kommen, erhalten sie einen Wert. Um im Bild zu bleiben: ein gut strukturierter Leitzordner mit umfänglichen Berichten und Ergebnisse bietet nicht nur Daten, sondern auch Informationen, die gezielt für die Weiterbehandlung eingesetzt werden können.

Die Entwicklung von Medizinischen Informationsobjekten (MIO) legt die Basis dafür, dass Daten künftig in der ePA nicht nur wie in einem Schuhkarton aufbewahrt werden, sondern dass daraus ein nutzbarer Leitzordner wird. Mir persönlich fehlt hier vor allem eine gute Aufbereitung von Labordaten. Die erhalten Versicherte immer mal wieder, aber an keiner Stelle werden die zentralen, immer wieder erhobenen Blutwerte im Zeitverlauf dargestellt. Kontinuierliche Informationen über die Blutfettwerte wäre sicherlich nicht das schlechteste, was wir für eine Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes nutzen könnten.

Letzter Punkt dazu: die Daten sollten nicht nur der eigenen Gesundheit dienen, sondern auch für die Forschung zur Verfügung stehen. Wenn mit großen Datensätzen, die einen längeren Zeitraum abbilden, Forschungshypothesen aufgestellt und dann wissenschaftlich untersucht werden können, könnten sich neue Zusammenhänge herauskristallisieren und neue Lösungs-/Heilungswege auftun. Hier ist ein Umdenken erforderlich: Weg von der Datensparsamkeit, hin zu strenger Verfolgung von Datenmissbrauch.

Digitale Tools können langfristig Geld sparen, verursachen aber häufig zunächst Kosten für die Implementierung. Wie lassen sich diese finanzieren?
Investitionen sind erforderlich, wenn ein Unternehmen auf der Höhe der Zeit bleiben will. Und wer sich im Rahmen der GKV-Regelversorgung bewegt, muss sich hier wiederum an Spielregeln halten, ohne die das System nicht funktionieren würde. Die in den letzten Jahren genutzte Kopplung von Zwang und Anreiz hat sich bewährt: Es werden harte Fristen gesetzt, bis zu denen bestimmte Dinge funktionieren müssen. Gleichzeitig wird die Anschaffung subventioniert, je früher die Anschaffung vor dem Termin erfolgt, um so mehr. Also ein System von Zuckerbrot und Peitsche. Wichtig scheint mir auch, dass genau abgewogen wird, welche Systeme zentral und staatlich organisiert sein sollen und welche wettbewerblich. Da das Gesundheitssystem ein begrenzter Markt ist, sind manche Dinge nicht gut wettbewerblich zu lösen (Beispiel Konnektoren - zu kleiner Markt, zu spezielle Anforderungen). Die Bemühungen um Interoperabilität werden künftig hoffentlich auch mehr Bewegung in die Landschaft bringen.

Die digitale Transformation erfordert auch Knowhow bei den Beschäftigten. Was muss für diesbezüglich bei der Aus- und Weiterbildung geschehen?
Mehr! Digitale Inhalte gehören in jede Ausbildung, in jedes Studium. Inzwischen gibt es erste Professuren für Digitale Medizin, davon braucht es mehr. Ich halte allerdings wenig von eigenen Stunden zum Thema Digitalisierung, das muss sich einfach durch alle Themen durchziehen. Daher geht es mehr um zeitnahe Anpassung von Lehrinhalten. Dort wo Medizinstudierende bisher lernten, wie Arzneimittel verordnet werden, gehören jetzt eben auch die Digitalen Gesundheitsanwendungen mit auf den Lehrplan. Bei den Aktivierungsmöglichkeiten für Pflegebedürftige gibt es jetzt eben auch Digitale Angebote oder Robben mit Künstlicher Intelligenz, Logopäd:innen können ihre Angebote auch via Telemedizin einsetzen - also gehört der Überblick zu vorhandenen Angeboten mit in die Ausbildung. Nur wenn das ein selbstverständlicher Teil des Alltags ist, akzeptieren wir Digitalisierung. So wie unsere Smartphones uns gar nicht als Hochleistungscomputer (was sie im Verglich zu den Rechnern von 30 Jahren definitiv sind) entgegentreten, sondern als Alltagsgegenstand, den wir beherrschen.

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