Es gibt Situationen, die man vermutlich sein Leben lang nicht vergisst. Neulich auf der A 6: Dauerstau, im Schneckentempo Richtung Heilbronn, das Vorstandsbüro ist bereits informiert … die Zukunfts-Strategietagung muss wohl etwas später starten. Die Finger tippen nervös auf den Tasten des Autoradios. Und plötzlich höre ich ihn: Den Sound meiner Jugend! Didi-didi-didiii-diii … Der Bayern 3 – Verkehrsdienst. Für die einen ist es nur ein Verkehrsjingle, für mich ist es der schöne Klang der Freiheit. Der Klang meiner 70er! Er schweißte zusammen mit jenen, die ihn auch auswendig summen konnten, und er verriet uns bei jenen, die ihn uns verbieten wollten. So war das im Osten …
Ein paar Jahre, die Wende war ins Land gegangen, neue Radiosender waren entstanden und mich hatte die Laune der Geschichte selbst als Moderator hinter ein Radiomikrofon getrieben … ein paar Jahre später spürte ich selbst die seltsame Faszination des Verkehrsjingles. Oder besser gesagt: Nicht des Jingles sondern des eingearbeiteten Hintz-Thrillers, jenes hohen Pieptons, der die Autoradios automatisch in den Verkehrsfunkmodus bringt. Es ist jener Ton, der das Radio laut macht, wenn der Fahrer es vorher leise gedreht hat, jener Ton, der den Sender wieder einstellt, wenn der Fahrer ihn vorher gewechselt hat.
Und während ich hier auf der A 6 des Jahres 2012 den alten Erinnerungen nachhänge, geschieht etwas Unfassbares. Die Stimme sagt: „Und hier die Staus ab 5 Kilometer Länge ...“ Meine Melancholie ist urplötzlich verflogen. Ob dieser Moderator wohl etwas denkt, während er aus dem Computer die Staus vorliest? Ob er weiß, dass sein Vorlesewerk völlig zweckfrei ist, weil es keinem Autofahrer Sicherheit für seine Fahrt gibt, wenn nur einige ausgewählte Staus vorgelesen werden? Ob er ahnt, dass er in dieser Sekunde tausende Autofahrer wütend macht, die in einem der 2- oder 3-Kilometer-Staus stecken? So wie mich, der gerade seinen dritten 3-Kilometer-Stau vor sich sieht!
Ob er merkt, dass er in diesem Moment ein Relikt der 70er Jahre ist … ein fehlplatziertes, dümmliches Ungetüm inmitten einer immer smarter werdenden modernen Welt? Gefühlte 40 Jahre hinter der Zeit! Nein! Weil sein Programmchef, die Autoradiohersteller und selbst die Anbieter von eingebauten Navigationsgeräten diesen Verkehrsfunk so von ihm erwarten. Manchmal frage ich mich, ob unser guter alter Verkehrsfunk vielleicht eine der letzten Verteidigungsbastionen der alten Welt wird? Jeder weiß, dass internetbasierte Navigation schlauer und schneller ist. Jeder weiß, dass man sich auf sein Smartphone sofort und besser verlassen kann. Der einzige Grund, warum Smartphones bislang nicht das gesamte Navigationsgeschäft erobert haben sind ihre begrenzten Akkuleistungen. Oder anders gesagt: … dass die Automobilhersteller immer noch verweigern, eine ganz normale Steckdose einzubauen. Aus Sicht eines Trendforschers ist das eine der verrücktesten Possen der neuen Zeit. Und nun, liebe Leute, sagt mal ehrlich: Wie lange wollt Ihr noch die 70er nachspielen?