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Kulturwissenschaftler begrüßt höchstrichterliche Sample-Entscheidung

Wie Samplen in unser Wertesystem passt

Dr. Johannes Müske, Universität Zürich, Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft Quelle: privat Dr. Johannes Müske Bitte auswählen Universität Zürich 19.07.2016
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Die Werke berühmter Künstler sind Teil unserer Populärkultur, das freie Zirkulieren kultureller Elemente ist ein Wesen unserer freiheitlichen Werteordnung", sagt der renommierte Kulturwissenschaftler Dr. Johannes Müske. Deswegen begrüßt er die Entscheidung des BVerfG zum Verwenden von Samples. Am Ziel sieht er die Entwicklung aber nicht.







Das Bundesverfassungsgericht hat die Verwendung eines Samples von einem älteren Titel in einem neuen Popsong für rechtens erklärt. Wie bewerten Sie das Urteil?
Urheberrecht, Musik, Sampling, Gähn, fast forward. Doch halt, rewind – da war eine interessante Stelle. Nochmal genau reinhören. Doch nicht so uninteressant, worum ging es, Kraftwerk vs. Moses P., Diebstahl? Der Fall behandelt die grundlegende Frage, wem Kultur gehört (kulturelles Eigentum, Cultural Property/Intellectual Property) und berührt Verständigungen über Werte: im "Westen" (nehmen wir einmal an, es gibt ihn) gilt das das freie Vagabundieren von Wissen, Gewohnheiten und Ideen (= Kultur) als selbstverständlich. Stehlen ist natürlich verboten. In bestimmtem Rahmen jedoch ist das Wegnehmen und Weiterverwenden erlaubt, gegen Gebühr, etwa beim Covern. Und auch für die Ideen, die eine bestimmte "Schöpfungshöhe" haben, das heisst ausgearbeitet und zwischen zwei Buchdeckel gebracht wurden oder auf anderen Speicherformaten fest vorliegen, dürfen die "Urheber_innen" – es gibt den Autor seit der Romantik als Denkfigur – bestimmte Rechte geltend machen. Die Wertefrage, wem Kultur gehört, ist also zum großen Teil eine Technische. Simpel: In einer immer digitaleren Welt (und auch der Welt des Hiphops, die mit der Technik des Sampelns das Digitale schon im Analogen vorwegnahm) funktioniert dies wieder weniger. Aus Sicht "unserer" Kultur mit freiem Handeln und Wandeln also ein gutes Urteil: gibt man als Künstler_in etwas aus der Hand, ist es in der Welt und lebt weiter, darf von neuem "angeeignet" und verändert werden. Apropos Handeln: Kraftwerk sollten ihren Anteil bekommen, warum auch nicht.

Der behandelte Fall betrifft ein sehr kurzes Sample. Welche Grenzen wird die Verwendung fremder Tonaufnahmen für neue Werke künftig haben?
Das ist eine normative Frage, die immer wieder anders beantwortet werden wird. Es kommt drauf an, wen man wo und in welcher Epoche fragt. Wie man an den sogenannten im Netz zirkulierenden "Memes" sieht, sind der oft auch kritischen Kreativität keine Grenzen gesetzt und verwischen Autorschaften.

Abseits von Jux, Kunst und dem pursuit of monetary happiness: eine wichtige Grenze betrifft die ethische Frage der Verletzung von Persönlichkeitsrechten, die in der Online-Welt zurzeit leider überhand nehmen. In der Online-Welt, in der ich leben will, werden Dinge nicht in beleidigender Weise weitergenutzt und verbreitet.

Die Richter weisen in ihrem Urteil darauf hinwiesen, dass der Gesetzgeber eine Bezahlpflicht für Samples einführen könnte. Wie stehen Sie dazu?
Wenn es der/die gesampelte Künstler_in nicht ausdrücklich anders bestimmt: Fair use – kostenlos, wie beim Zitieren. Bei Gewinn sollten Tantiemen überwiesen werden. Allerdings kann man gespannt sein, wie diese errechnet werden sollen: wie viele Quadratzentimeter eines Bildes oder Sekunden eines Songs/Videos markieren die Grenze zur Gewinnbeteiligung, und ab welchem kommerziellen Erfolg? Muss vorher oder hinterher gezahlt werden, und wer zahlt, Verlag oder sampelnde/r Künstler/in?

In der Abwägung hat das Verfassungsgericht die Kunstfreiheit über das Eigentumsrecht der ursprünglichen Urheber gestellt. Was bedeutet das für andere Bereiche der Kultur und Kunst?
Welche Antwort würde ein Teenager von der Anwaltskanzlei von Michael Jackson erhalten, wenn er wegen der Nutzung eines Ausschnitts von, sagen wir, Dirty Diana, anfragt, um seiner Angebetete eine selbstkreierte Videobotschaft schicken zu können? Eben. Eine Lizenzregelung ist in den allermeisten Alltagssituationen lebensfremd.

Es ist noch aus einem anderen Grund zu begrüßen, dass die immer größere Ausweitung intellektueller Eigentumsrechte für einmal aufgehalten wurde: die Regulierungswut tut nicht allen gut und meist nur denen mit den teuersten Anwälten. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob es tatsächlich eine Zeitenwende auf dem Weg zu einem moderneren Urheberrecht ist.

Die Werke berühmter Künstler sind Teil unserer Populärkultur, das freie Zirkulieren kultureller Elemente ist ein Wesen unserer freiheitlichen Werteordnung. Auf Grund der Digitalisierung häufen sich ähnlich gelagerte Fälle (gepostete Zeitungsartikel, Plagiate usw.) – hier sind Regeln im Entstehen, ein kultureller Prozess der Herausbildung von allgemein akzeptieren Selbstverständlichkeiten. Das Urteil ist ein Zwischenschritt auf diesem Weg.

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