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"Keine Enteignung für billige Kultur"

Was die Schriftsteller vom neuen europäischen Urheberrecht erwarten

Nina George, Schriftstellerin und Mitglied im Vorstand des PEN-Zentrum Deutschland Quelle: Urban Zintel © Droemer Knaur Nina George Schriftstellerin freie Autorin 19.11.2015
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Schriftstellerin Nina George kritisiert die europäische Politik zum Urheberrecht scharf. Im Interview befürchtet sie, das ein gewachsenes System ausgehöhlt werden solle. Das könnte der europäischen Kultur das Rückgrat brechen.







EU-Digitalkommissar Günther Oettinger hat in einem Interview angekündigt, das Urheberrecht in mehreren Paketen auf europäischer Ebene zu reformieren. Braucht es überhaupt einen europäischen Rahmen für das Urheberrecht?
Der ist längst gegeben, z. B. durch das kontinental-europäische Urheberrecht oder die Revidierte Berner Übereinkunft. Wenn heute ein Herr Oettinger, ein Herr Juncker, eine Frau Reda, eine Frau Kammerevert oder ein Herr Ansip über das Menschenrecht „Urheberrecht“ reden, wird deutlich, dass sie die ursprüngliche Aufgabe dieses komplexen Rechtssystem nicht mehr respektieren wollen: Der unbedingte Schutz von Werken, Meinung, Persönlichkeit und Arbeitsrecht. Stattdessen möchten sie lieber der europäischen Kultur das Rückgrat brechen, um so günstig, rücksichtlos und bequem wie möglich an die Arbeiten von sieben Millionen europäischen Berufskreatoren zu gelangen.

Das Urheberrecht in seiner heutigen Form ist ein Gewirk, dass die Leistung der Schöpfenden schützt, genauso wie die Freiheit jedes Bürgers auf seine Daten und kreativen Taten, und gleichzeitig genau regelt, worauf die Allgemeinheit einen Anspruch hat. Und auch, worauf nicht! Das Recht des Urhebers ist nicht nur für Leute wie mich da, als Arbeitsrecht, als Schutz meiner Meinung und meines Berufsalltags. Sondern für jeden Bürger. Auch Tagebücher, Facebookbilder, Kinderzeichnungen sind „Werke“, die schützenswert sind.

Doch polemisch-vagen Argumenten zufolge, ob von der Kommission Juncker, ob von den Piratennahen Lobbyisten, ob von Bibliotheken oder Netzaktivisten und Google- oder Wikimedianahen Parteien, ob von Kommissar Ansip, hört es sich jedoch stets so an, als ob die digitale Revolution es wahnsinnig nötig mache, das durchdachte, gewachsene, sehr balancierte und kluge System des „Droit d’Auteur“ auszuhöhlen. Der Charlie-Hebdo-Anwalt Richard Malka schrieb es treffend: 'Unter dem vereinten paradoxen Einfluss transatlantischer multinationaler Konzerne auf der einen Seite, dem libertärer Gruppierungen wie der Piraten auf der anderen, wird das Urheberrecht heute als obsolet und reaktionär hingestellt, als ein Handicap für den freien Zugang zu Bildung und Wissen und als undemokratisch.'

Es gibt dazu im Übrigen weder Erhebungen noch Tatsachen. Wir wissen inzwischen, dass seit 2011 diverse Lobbymillionen von US-Unternehmen wie Google oder Wikimedia, Creatice Commons oder Facebook geflossen sind, um die Brüsseler Politik zu ermuntern, das für große Geschäfte und den Handel mit Daten „störende“ Urheberrecht zu beseitigen. Was TTIP nicht schafft, sollen Juncker, Reda und Oettinger erledigen.

Fakt ist: Die geplanten 21 wesentlichen Änderungen, vor allem bei den sog. „Schrankenregelung“ (Schranke: da endet mein Recht als Autorin und beginnt das Recht der Allgemeinheit auf meine Arbeit, z. B. das Recht, meine Leistung gegen wenige Cents oder gratis für den Privatgebrauch zu kopieren, oder sich ausleihen zu können, oder in der Schule zu benutzen oder daraus vorzulesen), hätten drei wesentliche Negativ-Effekte:
- Die US-Unternehmen der GAFA-Connection könnte sich noch besser an Werken europäischer Berufskünstlerinnen bedienen, ohne uns anständig zu vergüten
- Wir verlören weitesgehende Entscheidungsfähigkeit und Vergütungsansprüche
- Weder Innovationsschutz (Schutz der freien Künstler) noch Investionsschutz (Schutz unserer Partner, wie Verleger, Labels, Produzenten) ist gegeben. Ein Blick auf den angloamerikanischen Markt genügt, um zu sehen, dass dort „Kultur“ aus Blockbustern, Mainstream und wenig Avantgarde besteht. US-Autorinnen und britische Autoren verdienen ein Viertel weniger als noch vor sieben Jahren. Die Konzepte Flatrate funktioniert nicht. Für Nischen, Experimente, für politisch relevante Werke, ist kein Platz. Das Urheberrecht schützt auch die Literaturdemokratie.

Wenn es zu einer umfassenden Reform kommt, was sollte aus Ihrer Sicht unbedingt beachtet werden?
A) Dass es weiterhin den beruflichen wie künstlerischen und menschenrechtlichen Bedürfnissen von (Berufs-)Schöpfenden dient. Und weder zu einem Verbraucherrecht noch Konsumrecht oder Internetrecht umgedeutet wird. Diese ständig geforderte „Balance“, der angebliche 'Ausgleich', ist keine gerechte Forderung. Die einen zu enteignen, damit die anderen Kulturwerke zu einem noch billigeren Preis bekommen, ist eine beschämende politische Haltung. Wir leben in einer Gemeinschaft. Das Urheberrecht ist nicht dazu da, Dumpingpreise zu fördern, es ist dazu da, Kultur, Leistung, Vergütung, Würde, Schutz des Werkes vor Entstellung zu schützen.

Das heißt nicht, dass wir nicht bereit sind, uns Marktwünschen anzupassen oder unseren Teil zu Bildung, Wissenschaft und Informationszugang zu unterstützen. Aber um einem Leser ein günstiges Buch zu ermöglichen oder einem Studierenden seine Fachbücher, muss man uns nicht gleich die Finger brechen, um daran zu kommen. Und so ist das, was ich mir persönlich wünsche, mehr Respekt vor den Leistungsschaffenden und die simple Einsicht, dass Lohn und Honorar keine unverschämten Forderungen sind.

B) Dass die Kommission sich endlich bekennt,  ihre diversen Untersuchungen zur Folgenabschätzung der angepeilten Reform öffentlich zu machen. Denn: Macht man sich einmal auf die Suche nach belegbaren Zahlen für einen breiten Positiveffekt der Reform, werden Sie nichts finden. Dafür aber jede Menge Evaluierungen, wie die Kulturwirtschaft und Kulturbiotope zerstört werden.

C) Eine klare Ansage gegen Kulturpiraterie im Internet und eine Verbesserung der Durchsetzung von Vergütungsregeln. Es ist beschämend, wie wenig es die Politik interessiert, wer an Piraterie alles verdient: Hoster, Server, Antitracking-Dienstleister, Zahlungsvermittler wie PayPal oder MasterCard, Google-Werbetreibende – doch weder die Autoren noch ihre Investoren.

D) Keine zusätzlichen Mandatorische Schranken wie z. B. zum erzwungenen E-Lending für Bibliotheken., schon gar nicht mit unklarer Vergütung. Würden alle neuen E-Books in Bibliotheken unbegrenzt zur Verfügung gestellt, hätten Bibliotheken die größte Billigflatrate. Doch: Weder eine anständige Vergütung ist bisher geplant, noch berücksichtigt, dass der E-Book-Kaufmarkt damit sterben würde, wie Konzepte in Norwegen bereits bewiesen haben. Hier sind die Länder gefragt, ihre Bibliotheken zu fördern, anstatt den Autoren zuzumuten, die Finanzierung der maroden Bibliotheken zu tragen.

Nach Medienberichten solle es in einem ersten Paket noch in diesem Jahr u.a. um die grenzüberschreitende Nutzung digitaler Inhalte gehen. Welche Regeln würden Sie in diesem Bereich befürworten?
Gegenfrage: Wo, bis auf den TV-Bereich, gibt es noch praktische Grenzen? Die Portabilität – also das „Mitnehmen“ oder auch „im Urlaub auf Mallorca ein E-Book bei Amazon.de oder einen Song bei iTunes kaufen“ – ist doch längst gegeben! Es gibt jenseits der geschlossenen Kaufportale (Die nebenbei Ihre Kundendaten auswerten, verkaufen und für Werbung missbrauchen) vielfältige Kulturangebote, die jeder jederzeit nutzen kann, sofern er nicht in einem diktatorischem Staat lebt. Das Kampfwort „Geoblocking“ war eines der Windwörter im Tauziehen um Deutungshoheit, und, so die Gerüchte, wurden von unzufriedenen Poltikergattinnen in Brüssel angestoßen, die ihre Lieblingsserien aus der fernen Heimat nicht mehr gratis im belgischen Land empfangen konnten. Aber Gerücht hin oder her: Dabei machen territoriale Lizenzen Sinn, etwa wenn man Filme erst im Ursprungsland zeigt und dann in angrenzende Länder verkauft, um sich zu refinanzieren. Und: Europa ist unterschiedlich. Es gibt viele kleine Märkte, Sprachen und Kulturgewohnheiten. Die wenigsten Finnen wollen italienische Soaps sehen.

Am Ende geht es aber immer um das Eine: Ums Geld. Wer soll was wie wem bezahlen?
Die allgemeine Flatrate-Mentalität macht es nicht gerade einfacher zu argumentieren, warum faire Vergütung auch bei größten Bequemlichkeitsforderung mitgedacht werden muss.

Für weitere Regelungen wird nach Oettingers Aussagen gerade das deutsche Leistungsschutzrecht beobachtet. Wie fällt Ihr Fazit nach zwei Jahren Leistungsschutzrecht aus?
Dort, wo es bitter nötig ist, ist es gescheitert. Weder Kameramänner noch Schauspieler oder Musiker werden so vergütet, wie es ihre Leistung verlangt. Zum LSR innerhalb der Medienbranche ist das eingetreten, was wir befürchtet haben: Bei den freien Journalisten kommt nichts davon an. Was aber auch an desaströsen, einseitigen Verträgen mit großen Medienhäusern liegen kann. Hier ist dringend Nachbesserung nötig.

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