77% der deutschen Einzelhändler sehen sich selbst an Nachzügler in Sachen Digitalisierung. Verliert eine ganze Branche den Anschluss?
Die Digitalisierung ist eine große Herausforderung für den gesamten Handel. Viele Handelsunternehmen stehen vor großen Investitionen, um sich fit für die Zukunft zu machen. Immer mehr Händler verzahnen ihr stationäres Geschäft mit einem Online-Shop. Damit wollen sie an den steigenden Umsätzen im Online-Bereich teilhaben. Aktuell wird jeder zehnte Euro im deutschen Einzelhandel über den Online-Handel erlöst. 2017 erzielte der E-Commerce ein Umsatzplus von zehn Prozent auf fast 49 Milliarden Euro. Insbesondere größere Filialunternehmen sind bereits mit innovativen, erfolgreichen Multi- und Crosschannel-Modellen unterwegs. Doch gerade kleine und mittelständische Betriebe verfügen oft nicht über ausreichend finanzielle Mittel, um sich digitale Expertise einzukaufen. Deshalb braucht vor allem der Mittelstand im aktuellen Strukturwandel dringend Entlastungen. Dabei geht es beispielsweise um eine gerechtere Finanzierung der Energiewende, wo Handel und Verbraucher derzeit überproportional zur Kasse gebeten werden. Aber auch die Hinzurechnungen bei der Gewerbesteuer müssen abgeschafft werden, im Arbeitszeitrecht ist eine Flexibilisierung dringend vonnöten. Zudem müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen, um den Standort Innenstadt attraktiv zu erhalten. Hier steht ebenfalls die Digitalisierung im Fokus: Zur Aufenthaltsqualität gehört heutzutage beispielsweise ein freies WLAN-Angebot für alle City-Besucher.
Die Digitalisierung bietet den Händler große Chancen, die die Händler für sich selbst nutzen müssen. Allerdings benötigen sie dafür eben die passenden Rahmenbedingungen von der Politik.
Im Einzelhandel gibt es immer noch viele kleine Unternehmen, online dominieren wenige Konzerne. Wie kommt der Einzelhändler dauerhaft gegen Amazon und Co an?
Auch im Online-Handel haben wir eine enorme Vielfalt von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Richtig ist allerdings auch, dass große Unternehmen eine starke Marktposition haben. Hier brauchen wir faire Wettbewerbsbedingungen. Die Plattformen müssen wirkungsvoll dazu verpflichtet werden, für alle Händlerpflichten auch Verantwortung zu übernehmen. Wer hierzulande Ware verkauft, muss kontrollierbar die Umsatzsteuer dafür abführen und die Verbraucherschutzvorschriften einhalten. Das ist bei Verkäufen über Plattformen - beispielsweise von Händlern aus China - derzeit nicht gegeben. Da muss die Politik handeln.
Plattformen sind aber nicht ausschließlich Konkurrenten für den mittelständischen Handel, sondern auch eine Chance für den Einstieg in den Online-Handel. Für viele kleinere Unternehmen sind Aufbau und Betrieb eines eigenen Online-Shops schlicht zu teuer. Dann bietet sich der Verkauf der eigenen Ware über Plattformen an. Dabei gilt es aber dann, die eigenen Interessen nicht aus den Augen zu verlieren und sich nicht zu sehr vom Plattformdienstleister vereinnahmen zu lassen.
Viele Verbraucher können sich vorstellen, automatisiert Alltagsartikel in zu bestellen. Vor welche Herausforderung stellen das Internet der Dinge und das Smart Home den Einzelhandel?
Die Digitalisierung und der Einsatz von Algorithmen sowie künstlicher Intelligenz bieten große Chancen für den Handel. Die Händler können so besser auf die Bedürfnisse ihrer Kunden eingehen und beispielsweise ihre Bestell- und Lieferprozesse weiter optimieren. Damit die Unternehmen die technologischen Möglichkeiten aber sinnvoll nutzen und einsetzen können, müssen auch in diesem Bereich die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Ein immer wieder von der Politik diskutiertes digitales Antidiskriminierungsgesetz oder ein „Algorithmen-TÜV“ würden die Innovationen in der Branche hemmen und Geschäftsgeheimnisse gefährden. Außerdem wäre der bürokratische Aufwand groß und das würde die deutschen Unternehmen im globalen Wettbewerb benachteiligen. Denn internationale Konzerne würden sich dem deutschen Gesetz vermutlich entziehen.
Einer der wichtigsten Trends im Handel ist derzeit die Nutzung von Voice. Die Kunden teilen ihre Wünsche ihrem Sprachassistenten mit. Da wird dann zunächst entschieden, ob die Bestellung Online ausgelöst wird oder auf eine Einkaufsliste kommt. Die Fähigkeit, Daten zu analysieren und damit dem Kunden passgerechte Angebote und auch die präferierte Art des Einkaufes zu offerieren, wird zunehmend zum Beginn der Customer Journey werden.
Andererseits kaufen 4 Prozent der Internetnutzer täglich online, 14 Prozent einmal oder mehrmals pro Woche - wird der Onlinehandel überschätzt?
Online ist ein seit Jahren stark wachsender Vertriebskanal im Handel. Ein Ende des Wachstums ist nicht absehbar. Einzelne Branchen haben Wachstumsgrenzen erreicht, bei anderen wie beispielsweise Lebensmitteln gibt es noch viel Potenzial. Der Online-Handel insgesamt hat derzeit rund zehn Prozent Umsatzanteil im Einzelhandel in Deutschland. In Zukunft wird es kaum mehr möglich und sinnvoll sein, die Umsätze nach online und stationär zu differenzieren. Denn die beiden Vertriebskanäle werden im Rahmen von Cross- und Multichannelkonzepten zunehmend miteinander verwachsen. Wenn der Kunde online bestellt und sich die Ware im Laden abholt – zählen die Umsätze dann für online oder für stationär?
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