Meinungsbarometer: Herr Staatsminister Schneider, werden in den digitalen Medien zu wenig gesellschaftliche Werte vermittelt?
Siegfried Schneider: Medien ohne Vermittlung gesellschaftlicher Werte gibt es eigentlich gar nicht. Die Rolle der heimlichen Mit-Erzieher beschäftigt Pädagogen und Politiker seit Jahren. Ob Information, Bildung oder Unterhaltung – alle Angebotssparten vermitteln Werte im weitesten Sinn. Die Frage ist eher, ob auch die richtigen Werte vermittelt werden. Oft erscheinen mir die Medien als Zerrspiegel unserer Wirklichkeit. Das „Normale“ bleibt auf der Strecke. Was in nachmittäglichen Talkshows oder Gerichtsshows vermittelt wird, ist nicht der erlebte Alltag. Regelmäßig testen Anbieter die Grenzen des guten Geschmacks auf der Suche nach möglichst großer Einschaltquote. Sie befriedigen allerdings damit auch die Schau- und Sensationslust. Gerade wegen dieser kalkulierten Vorstöße ist der gesellschaftliche Diskurs über Wertevermittlung in den Medien unverzichtbar.
Private Medienmacher beklagen, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten würden mit ihren kostenlosen Online-Angeboten die Gratismentalität der Internet-Nutzer unterstützen und damit Geschäftsmodelle der Privaten beeinträchtigten. Sehen Sie medienpolitischen Handlungsbedarf?
Letztlich folgen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit ihren Gratisangeboten der Gratis-Mentalität der Internet-Nutzer. Unabhängig davon muss sich der Gesetzgeber Gedanken darüber machen, welche Angebote im Netz die Gebührenzahler zwangsweise finanzieren müssen. Es macht eben einen Unterschied, ob ein Unternehmen kostenlose Internetseiten bereitstellt und sie über Werbung finanziert, oder ob umfangreiche Angebote zur Verfügung gestellt werden und die Rechnung an den Gebührenzahler durchgereicht wird. Unsere medienpolitische Aufgabe ist es, künftig Qualitätsinhalte im Internet zu ermöglichen. Und Qualitätsinhalte brauchen eine solide Finanzierung. Insofern sitzen private Medienmacher und öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter in einem Boot. Am Ende wird es darum gehen, Geschäfts- und Finanzierungsmodelle im Internet durchzusetzen. Die Quersubventionierung über andere Felder wird irgendwann ein Ende haben.
Was sagen Sie zu dem Vorschlag, die Öffentlich-Rechtlichen sollten ihre Inhalte auf allen Ausspielwegen kostenlos anbieten dürfen – müssten dafür aber komplett auf Werbeeinnahmen verzichten?
Ich habe schon immer in der Werbefreiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mehr Vorteile als Nachteile gesehen. Die konsequente Trennung der Finanzierungswege wird von der BBC seit Jahren erfolgreich vorgelebt. Wir haben sie auch im deutschen Recht bereits weitgehend umgesetzt. Im Wachstumsmarkt Internet ist den öffentlichrechtlichen Rundfunkveranstaltern Werbung untersagt. Sichergestellt muss allerdings sein, dass alle Werbetreibenden im privaten Medienumfeld ausreichend Werbeplattformen finden. Andernfalls hätte ein Werbeverzicht bei den Öffentlich-Rechtlichen den unerwünschten Effekt, dass bestimmte Werbebotschaften nicht mehr ankommen, bestimmte Werbekunden ihre Möglichkeit zur Werbung verlieren und bestimmte Produkte das Nachsehen haben. Aufgabe der Politik ist es, für Werbetreibende und Werbekunden faire Rahmenbedingungen zu schaffen.
Von allen Medien, die sich im Prozess der Digitalisierung befinden, hinkt Radio als Einziges hinterher. Wie stellen Sie sich das Radio der Zukunft vor und welche Rolle kann Bayern auf dem Weg dorthin spielen?
Bayern hat sich frühzeitig und intensiv für eine Digitalisierung des Hörfunks eingesetzt. Das digitale Radio ist in Bayern seit Jahren im Regelbetrieb. Es wäre schön gewesen, wären die anderen Länder und Rundfunkanstalten dem bayerischen Vorbild zeitig gefolgt. Die heute schwierige Situation ist wesentlich auf dieses Zögern zurückzuführen. Im Augenblick scheint das Internetradio beim Wettlauf um die Digitalisierung die Nase vorn zu haben. Aber ich sehe das klassische Radio nicht auf dem Abstellgleis. Es passt zu unserer mobilen Gesellschaft. Jetzt sind die Anbieter gefragt, den von der Politik geschaffenen Rahmen für digitalen Hörfunk und den Neustart von DAB+ auszufüllen und diese Chancen zu nutzen. Zugleich wird die Medienpolitik darüber nachdenken, wie die Vielfalt von Audioinhalten im Internet gesichert werden kann. Auch hier gilt es, beizeiten geeignete Geschäftsmodelle und Finanzierungsoptionen zu eröffnen.