Es gab eine Zeit, in der durften Journalisten noch den überwiegenden Teil ihrer Arbeitszeit grenzenlos neugierig sein und recherchieren, was das Zeug hielt. Die Nasen vieler junger Kollegen kennen die unnachahmlichem Geruchsmelange aus heißem Blei und Druckerschwärze maximal noch von einer Museumsführung. In meiner Erinnerung war dies die „bleierne Zeit“; mit dem Einzug des Computers in die Redaktionen und der schleichenden Digitalisierung begann eine neue Zeitrechnung. Debattierte der Jungredakteur bis zu diesem Zeitpunkt wegen des richtigen Satzes von Schrift und Bildern noch lautstark mit dem erfahrenen Metteur, so fechtet man den Kampf seither stumm mit dem eigenen Layoutprogramm aus.
Die Digitalisierung erfasste nach und nach die gesamte Branche - gleich, ob Hörfunk oder Fernsehjournalist, Agenturkollege oder Fotograf. „Huckepack“ brachte sie eine ungeahnte Arbeitsverdichtung. Noch während das Ereignis abläuft, geht die Nachricht darüber um die Welt - diesem Marktmechanismus kann sich heute kein Journalist mehr entziehen.
Die Journalisten mussten sich gleichfalls neu erfinden, denn heute können beliebige Daten und Informationen mit geringen Kosten und von jedermann hergestellt, verbreitet und an jedem Ort multifunktional und interaktiv genutzt, verarbeitet und unbeschränkt vernetzt werden. Ohne Vernetzung im mehrfachen Sinne - ein Netzwerk von Informanten, ein Netzwerk von spezialisierten Kollegen, ein Netzwerk von Abnehmern - kommt der multimedial arbeitende Journalist vielfach nicht mehr aus. Zeitungsunternehmen wie TV- und Radiosender reißen ihre medialen Mauern ein und entwickeln sich zu Medienanbietern. Das verlangen sie auch von den für sie arbeitenden Journalisten. Oft genug kann der einzelne Journalist dies gar nicht in der geforderten Qualität leisten. Netzwerk heißt das Zauberwort.
Bürgermedien, die mit den Offenen Kanälen und dem nichtkommerziellen Hörfunk einen Teil der Medien bilden, sind dabei nicht nur ein Sprungbrett für junge Menschen in den professionellen Journalismus, sondern mit ihrer Gegenöffentlichkeit ein wichtiger Pfeiler des lokalen und regionalen Medienangebots.
Auch wenn es den ausgebildeten Medienarbeitern zu schaffen macht, dass die Berufsbezeichnung Journalist nicht unter Schutz steht, muss der Gesellschaft um den Berufsstand nicht Bange sein. Leser, Hörer und Zuschauer honorieren auf Dauer Qualitätsjournalismus, der - nachprüfbar und gegenrecherchiert - über das Handeln von Menschen berichtet, die Informationen wertet und einordnet, der Ordnung im scheinbaren Chaos schafft.
An Qualitätszuwächsen kommen auch die universitären Ausbilder professioneller Medienarbeiter nicht vorbei, wollen sie kompetente Journalisten formen. Sie nehmen zwar Veränderungen in der Medienwelt auf und richten die Ausbildung neu aus. Doch mitunter bleibt das Handwerk, die Beherrschung der deutschen Sprache, die journalistische Methodik und Stilistik, im Studium auf der Strecke. So war etwa die Auflösung des Diplomstudienganges für Journalisten an der Universität Leipzig zugunsten von Master und Bachelor nach Einschätzung vieler Kollegen ein gravierender Fehler. Ihre Kritik: zu wenig Handwerk, zu wenig Praxisbezug. Die Universitäten selbst müssen mutiger werden und Bewerbern, die über keine ausreichende Allgemeinbildung verfügen, den Studienplatz versagen. Akademisch ausgebildete Nachwuchsjournalisten mit einem gepflegten Halbwissen tun schließlich der Gesellschaft, ihrem Arbeitgeber und auch sich selbst keinen Gefallen. Aber das war eigentlich auch schon zu „analogen Zeiten“ so.