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Datenschützer fordert "digitale Mündigkeit"

Warum Algorithmen ein freiheitliches Menschenbild in den Quellcodes brauchen

Frederick Richter, Vorstandsvorsitzender Stiftung Datenschutz Quelle: Stiftung Datenschutz Frederick Richter Vorstandsvorsitzender Stiftung Datenschutz 04.05.2016
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Mit „digitaler Mündigkeit“ lässt sich die Manipulationsgefahr im Netz deutlich reduzieren", sagt Frederick Richter, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Datenschutz. Er fordert bei etwaigen neuen rechtlichen Regeln: Entscheidungen auf Grundlage von algorithmen-basierten Auswertungen müssen "leichter revidierbar sein."







Algorithmen bestimmen zunehmend den digitalen Alltag, etwa bei der Online-Suche oder bei digitaler Werbung. Erleichtern die Algorithmen damit unser Leben, oder schränken sie unseren Horizont ein?
Mündige Bürger nutzen Algorithmen als Entscheidungsunterstützer in nicht unerheblichem Maße. Für viele Menschen tragen sie zur Erleichterung des Alltags bei. Es stimmt aber auch, dass wir weder von lästigen Postwurfsendungen bekannter Lebensmittelhändler in unserem Kaufverhalten „prädeterminiert“ werden, noch von algorithmisch gesteuerter Informationszufuhr zu willenslosen Konsumenten degradiert. Ob on- oder offline – vermeintlichen Manipulation kann und sollte stets mit kritischem Verbraucherverhalten begegnet werden. Mit „digitaler Mündigkeit“ lässt sich die Manipulationsgefahr im Netz deutlich reduzieren.

Algorithmen werden auch bei wichtigen Entscheidungen eingesetzt, etwa bei Stellenausschreibungen oder Kreditvergaben. Wie lassen sich Diskriminierungen verhindern?
Hierbei ist vor allem interessant, welches Welt- und Menschenbild bestimmten Bewertungen zugrunde gelegt wird. Denn am Anfang eines jedes automatischen Prozesses sind Menschen involviert, welche die Ausgangswerte festlegen, mit denen ein Algorithmus später arbeitet. Genauso wenig wie Bewertungsalgorithmen „gut“ oder „böse“ sein können, kann ein Programm zum Verantwortungssubjekt für Diskriminierungen oder Fehlentscheidungen gemacht werden. Es sollte jedoch stets eine Einzelfallprüfung gefordert werden. Entscheidungen auf Grundlage von algorithmen-basierten Auswertungen müssen außerdem leichter revidierbar sein. Es geht vor allem um die Verankerung eines freiheitlichen Menschenbildes in den Quellcodes.

Experten fordern einen eigenen Rechtsrahmen für den Einsatz von Algorithmen. Welche Regulierungen halten Sie für sinnvoll?
Ein verantwortliches Gestalten von Algorithmen lässt sich leider nicht einfach vom Gesetzgeber verordnen – auch deren verantwortungsvoller Einsatz nicht. Bereits die verfassungsfeste Formulierung von gesetzlichen Handlungsanweisungen für ethische Grundsätze ist schwierig. Zudem können staatliche Regelungen nur den theoretischen Rahmen setzen, während die Wirtschaft den gewünschten humanistischen Umgang mit Technologien dann selber praktizieren muss. Hinzu kommt, dass die Technologie stets schneller ist als die Gesetzgebung. So können gesetzliche Maßnahmen bei zu strenger Ausgestaltung schnell zu einem Bremsklotz für Innovation und Fortschritt werden. Bei einer Regelung müsste jedenfalls Transparenz das oberste Gebot sein. Wenn Algorithmen eine Technologie steuern, so sollte der Nutzer die Funktionsweise wenigstens in Grundzügen verstehen können. Eine gesetzliche Verpflichtung zum Bereitstellen verständlicher Informationen erscheint daher sinnvoll.

Algorithmen „lernen“ durch die Menge der Daten, die sie bekommen. Wie kann der betroffene Bürger Herr über seine Daten bleiben oder wieder werden?
Die Lösung ist vor allem im Bereich der „informierten Einwilligung“ zu suchen. Hierzu gibt es bereits Ideen: So sollen bestimmte Life-Management-Plattformen und Einwilligungsassistenten den Nutzern ermöglichen, die eigenen Daten zentral vorzuhalten und die Datenweitergabe genau zu kontrollieren. Nur wer als vertrauenswürdig eingestuft wurde, erhält den Zugriff auf die Daten, die der jeweilige Nutzer gezielt freigibt. Um das zu gewährleisten, sind viele Ansätze denkbar: Auf der technischen Seite kann nach Möglichkeiten gesucht werden, die Verwendung von sekundären Daten durch Anonymisierungsmodelle abzusichern und eine Re-Identifizierung des Nutzers zu verhindern. Außerdem muss mehr auf die nutzerfreundliche Anwendungsoberfläche geachtet werden. Für den Nutzer muss es auf einfache und verständliche Weise nachvollziehbar sein, was nach seiner Einwilligung mit den Daten passiert und welche Institutionen zu welchen Zwecken darauf Zugriff bekommen.

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