EU-Digitalkommissar Günther Oettinger hat in einem Interview angekündigt, das Urheberrecht in mehreren Paketen auf europäischer Ebene zu reformieren. Braucht es überhaupt einen europäischen Rahmen für das Urheberrecht?
Die vielleicht größte Herausforderung im Zusammenhang mit dem EU-Rechtsrahmen zum Urheberrecht ist ein nachlassendes Bewusstsein von der Bedeutung des Urheberrechts für eine freie und demokratische Wissens- und Informationsgesellschaft. Nicht nur der Zugang zu digitalen Werken und deren Verbreitung ist leicht wie nie. Auch die Werkkopie, Veröffentlichung und Vermarktung durch Dritte ist durch die Digitalisierung sehr leicht geworden und gefährdet die für jede private Werkproduktion nötige Verfügungsfreiheit der Urheber und Verleger über die Vermarktung ihrer medialen geistigen Werke.
Ein europäisches Urheberrecht, das die Herausforderungen der digitalen Produktion und Verbreitung europäischer Werke durch die Erweiterung von Ausnahmen und einer damit einhergehenden weiteren Schwächung des Urheberrechts meistern will, wird scheitern. Jede weitere Verschiebung der urheberrechtlichen Verfügungsrechte über periodische Publikationen weg von den Urhebern und Verlegern hin zu Aggregatoren, Bibliotheken und sonstigen Verwertern und Nutzern wird die Vielfalt und die Qualität der Publikationen aufs Spiel setzen und einen der wesentlichen Faktoren beschädigen, die Europa in der Welt auszeichnen: eine inhaltlich und kulturell vielfältige private periodische Presse.
Tatsächlich besteht im Zuge der Digitalisierung der Bedarf an einem verbesserten Urheberrechtsschutz für den Erhalt und die Vielfalt der Kultur- und Medienlandschaft in Europa. Es ist daher zu begrüßen, dass Kommissar Günther Oettinger sich mehrfach für einen europäischen Schutz der Leistung und Rechte der Presseverleger im Zusammenhang mit der Urheberrechtsreform ausgesprochen hat.
Wenn es zu einer umfassenden Reform kommt, was sollte aus Ihrer Sicht unbedingt beachtet werden?
Als Minimum jeder europäischen Urheberrechtspolitik muss zumindest das jetzige Schutzniveau der EU-Urheberrechtsrichtlinie unverändert erhalten bleiben. Die Richtlinie bietet einen hinreichenden Ausgleich zwischen den von den jeweiligen Schranken geschützten Interessen und den Interessen der Rechteinhaber und ermöglicht es den EU-Staaten, auf die unterschiedlichen traditionellen Kulturen ihrer Länder einzugehen.
Deutschland und Spanien haben mit dem Leistungsschutzrecht für Presseverleger einen wichtigen und notwendigen Schritt getan, um den Schutz der Presseprodukte in der digitalen Welt zu verbessern. In dieser Hinsicht ist das EU-Urheberrecht lückenhaft, diese Lücke muss geschlossen werden. Bei einer Reform des europäischen Urheberrechts und gar der Erwägung weiterer Beschränkungen, wird eine Erweiterung der ausschließlichen Rechte von Sendeunternehmen, Tonträger- und Filmherstellern auf Hersteller von Presseprodukten unumgänglich.
Nach Medienberichten solle es in einem ersten Paket noch in diesem Jahr u.a. um die grenzüberschreitende Nutzung digitaler Inhalte gehen. Welche Regeln würden Sie in diesem Bereich befürworten?
Unterschiede zwischen den nationalen Urheberrechtsgesetzen haben das Entstehen eines Online-Marktes für die Presse nicht erschwert. Journalistische Inhalte europäischer Verlage sind europa- und weltweit ohne Zugangsbeschränkungen durch die Verlage abrufbar. Urheber und Verleger müssen weiter frei darüber entscheiden können, ob, wie und wofür sie ihre Rechte anderen zur Verwertung und Vermarktung zur Verfügung stellen. Ein Zwang zu europaweiter Rechteeinräumung oder zu anderen Beschränkungen der freien Entscheidung über die Reichweite eingeräumter Rechte würde die für jede Medienlandschaft notwendige Flexibilität beschädigen.
Für weitere Regelungen wird nach Oettinger Aussagen gerade das deutsche Leistungsschutzrecht beobachtet. Wie fällt Ihr Fazit nach zwei Jahren Leistungsschutzrecht aus?
Täglich entstehen in deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen tausende aufwendig produzierte Artikel, die im Internetzeitalter in Sekundenschnelle von Dritten ausschnittsweise oder komplett übernommen, verwertet und vermarktet werden können. Das Leistungsschutzrecht soll einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Presseverleger und den gewerblichen Nutzern sicherstellen. Suchmaschinen und News-Aggregatoren nutzen in gewerblicher Weise die von den Presseverlegern hergestellten Inhalte und erwirtschaften damit hohe Umsätze. Dass die Rechtsdurchsetzung von Leistungsschutzrechten – wie nun zu erwarten ist – durch Gerichte entschieden wird, ist die Regel.