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1 % des Bundeshaushalts für Weltraumforschung

Was die Politik für die Raumfahrt tun sollte

Prof. Dr. rer. nat. Markus Landgraf - Architecture Analyst, HRE-S, Directorate of Human Spaceflight and Robotic Exploration Programmes, ESA - ESTEC Quelle: ESA Prof. Dr. Markus Landgraf Architecture Analyst, HRE-S ESA 13.01.2020
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Ein Weltraumgesetz in Deutschland ist in der Tat ein wichtiger Baustein der zukünftigen Positionierung Deutschlands und Europas", betont ESA-Experte Markus Landgraf. Er hat auch genaue Vorstellungen, was in so einem Gesetz stehen sollte und wie die Raumfahrt gefördert werden müsste. Von einer diskutierten Idee hält er allerdings nicht viel.







Die Bundesregierung will ein Weltraumgesetz in Angriff nehmen. Welchen Bedarf sehen Sie dafür?
Ein Weltraumgesetz in Deutschland ist in der Tat ein wichtiger Baustein der zukünftigen Positionierung Deutschlands und Europas. Mit dieser Maßnahme weist die Bundesregierung der Erkundung und Nutzung des Weltraums eine strategische Rolle zu. Der Bedarf für solch ein Gesetz besteht eigentlich schon länger, denn nach internationalen Abkommen, ist der Betreiber eines Raumfahrzeugs für dieses verantwortlich. Mit dem neuen Gesetz kann die Bundesregierung und alle unter Deutschem Recht operierenden Weltraumunternehmen in die Lage versetzen, diese Verantwortung wahrzunehmen. Konkret bedeutet das, dass zum Beispiel ein Deutscher Dienstleister, der weltraumgestütztes Breitbandinternet anbietet, seinen Anspruch auf einen gewissen Bereich der Umlaufbahn vor Deutschen Gerichten gelten machen kann, sollte ihm dieser streitig gemacht werden. Es bedeutet aber auch, dass dieser Betreiber für eventuellen Schaden aufkommen muss, den sein Satellit - zum Beispiel durch eine Kollision mit einem anderen Satelliten - anrichtet. Bisher wurden diese Angelegenheiten durch internationale Absprachen geregelt, die bei der fortschreitenden Kommerzialisierung weltraumgestützter Dienstleistungen nicht mehr ausreichen werden. Auch hat Frankreich in der Vergangenheit hier viel Verantwortung übernommen, da es ja meistens europäische Satelliten startet und dann eben als startende Nation galt. Bisher war das Risiko von Schadensfällen in der Umlaufbahn recht gering, so dass das für Frankreich akzeptabel war.

Für den Weltraum gibt es eine Reihe von internationalen Regeln – wie sollte sich ein deutsches Gesetz in diesen Rahmen einfügen?
Für den Weltraum gelten nichtbindende Abkommen, die die meisten Weltraumnationen bisher eingehalten haben. Es gibt aber auch erstaunliche Ausnahmen. Zum Beispiel ist es nach diesen Regen verboten, vorsätzlich die Explosion eines Satelliten herbeizuführen. Nun haben aber sowohl China als auch die USA in der Vergangenheit Tests durchgeführt, bei denen Satelliten in der Umlaufbahn zur Explosion gebracht wurden. Die bekannteste dieser Regeln - der "Outer Space Treaty" - ist eine übergreifende, nicht bindende, Absprache der Weltraumnationen zur Nutzung. Sie regelt die allgemeinen Prinzipien, trifft jedoch keine Regelungen. Die Hauptpunkte des „Outer Space Treaty“ sind:
- Das Verbot, Massenvernichtungswaffen im Weltraum zu stationieren
- Das Gebot, Himmelskörper und den freien Raum nur für friedliche Zwecke zu gebrauchen
- Das Gebot, Himmelskörper und den freien Raum zum Nutzen der gesamten Menschheit zu erforschen

Es wäre gut, wenn das Deutsche Weltraumrecht sich auf diesen Vertrag bezieht. Des Weiteren gibt es in Europa Standards und Absprachen - zum Beispiel den Europäischen Kodex zur Vermeidung von Raumfahrtrückständen (https://www.unoosa.org/documents/pdf/spacelaw/sd/2004-B5-10.pdf). Eine formelle gesetzliche Festschreibung dieser bewährten Absprachen wäre sicher sehr nützlich.

Das Gesetz sollte sich aber nicht nur auf Vermeidung und Verhinderung beziehen, sondern verbindliche Ziele für die wissenschaftliche und ökonomische Entwicklung des Weltraums festschreiben. Zum Beispiel sind die Mittel für Weltraumforschung in Deutschland noch immer nicht ausreichend, um eine strategische Rolle zu spielen. Wenn die Bundesregierung die strategische Rolle der Weltraumnutzung und -forschung ernst nimmt, könnte ein Finanzierungsziel - etwa 1% des Bundeshaushaltes - verankert werden.

Im Gespräch ist auch ein deutscher Weltraumbahnhof. Was halten Sie von dieser Idee?
Kurz: nicht viel. Wir haben einen garantierten Zugang zu einem tollen Weltraumbahnhof in Französisch-Guyana und Raketentestzentren in ganz Europa. Diese sollten möglichst effizient ausgelastet werden. Es gibt auch technische Gründe, die einen Weltraumbahnhof in Deutschland unattraktiv machen - hauptsächlich die Unmöglichkeit, ostwärts in geostationäre Transferbahnen einzuschießen. Der Einschuss in sonnensynchronen Bahnen von der Ostsee aus wäre sehr schwierig und wenig effizient. Mein Kollege Michael Khan von der ESA hat das in einem Blog sehr schön beschrieben (https://scilogs.spektrum.de/go-for-launch/ein-weltraumbahnhof-in-deutschland/#comment-46409).

Die Wirtschaft fordert eine kräftige Aufstockung der öffentlichen Investitionen in diesem Bereich. Wofür sollten zusätzliche Mittel aus Ihrer Sicht eingesetzt werden?
Es besteht in der Tat dringender Handlungsbedarf bei der öffentlichen Finanzierung der Raumfahrt. Erwiesenermaßen bringt Raumfahrt signifikanten Nutzen für die Bürger - viel mehr als einige Etats im Bundeshaushalt, die viel besser ausgestattet sind. Aus meiner 20-jährigen Erfahrung im Weltraumsektor würde ich empfehlen, strategische Rollen in wichtigen Explorationsprojekten zu finanzieren. Oft werden ja die naheliegenden, bereits teilkommerzialisierten Weltraumaktivitäten wie Erdbeobachtung und Dienstleistungen priorisiert. Dies hat allerdings zur Folge, dass die Kommerzialisierung in diesen für Unternehmen attraktiven Sparten nicht vorankommt. Die Exploration - also das wissenschaftliche und wirtschaftliche Erkunden des Weltraums - hingegen kann ohne öffentliche Mittel nicht erfolgreich sein. Das liegt zum großen Teil an den langen Investitionsintervallen. Um zum Beispiel Ressourcen auf dem Mond zu nutzen, muss zunächst in die Transportinfrastruktur investiert werden. Mit Gewinnschöpfung ist in diesem Beispiel erst in 20 Jahren zu rechnen. Um jedoch eine realistische Chance auf die wirtschaftliche Nutzung zu haben, muss die öffentliche Hand möglichst bald in die Schaffung dieser Infrastruktur investieren.

Die Bundesregierung tut dies bereits im Rahmen des "European Large Logistic Lander"-Programms der ESA, das nach der erfolgreichen ESA Ministerratskonferenz im November letzten Jahres ins Leben gerufen wurde. Der European Large Logistic Lander wird zunächst eine wissenschaftliche Probenrückführung ermöglichen und danach für Lastenflüge zur Verfügung stehen. Es gilt bei der Vergabe öffentlicher Mittel auch, Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Zum Beispiel ist eine Priorisierung von "Technologietrends" immer problematisch, da diese oft nicht zum Einsatz kommen. Besser wäre es, statt "Trendtechnologien" "Missions-getriebene" Technologien zu fördern - also Technologien, die Schlüsselfunktionen für Missionen ermöglichen - etwa den Weiterbetrieb während der kalten, dunklen, 14-tägigen Mondnacht.

Ein weiterer strategischer Fehler ist das "Gießkannenprinzip", also die Vergabe der Mittel in einen breit verteilten Wust von Klein- und Kleinstmissionen. In der Raumfahrt ist es so, dass der Nutzen einer Mission etwa linear mit der Größe der Vehikel wächst (also: doppelt so großer Satellit-> doppelt so viel elektrische Leistung -> doppelt so viele Bilder), die kosten jedoch etwa mit der Wurzel der Größe (ein viermal so großer Satellit kostet nicht viermal, sondern nur zweimal so viel). Daher wächst das Nutzen-Nutzen-Verhältnis einer Mission etwa invers mit der Wurzel der Größe und so sind Kleinstmissionen zwar oft recht günstig, aber der Nutzen geht gegen null. Summa Summarum sind die Mittel im Bundeshaushalt bereits heute ganz gut priorisiert. Es müssen nur mehr werden und der Fokus sollte sich zur Exploration verschieben. Nicht zuletzt haben die Bürger die Erwartung, dass die Ausgaben für Wissenschaft und Exploration denen der Weltraumdienste etwa gleichkommt und dass jeder bereit ist, etwa 200 € pro Jahr in Raumfahrt zu investieren.



Quellen:
https://www.esa.int/About_Us/Ministerial_Council_2016/Citizens_space_debate_the_main_findings_and_the_future https://www.esa.int/About_Us/Corporate_news/How_much_do_European_citizens_know_about_space

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